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„Sächsische Arbeitnehmer können jetzt mehr durchsetzen“

Gerald Voigt findet dank Online-Technik mehr Teilnehmer bei Betriebsversammlungen. Der Dresdner Gewerkschaftschef geht in den Ruhestand und sagt im Interview, was sich in Sachsen geändert hat.

Lesedauer: 4 Minuten

Gerald Voigt findet dank Online-Technik mehr Teilnehmer bei Betriebsversammlungen. Der Dresdner Gewerkschaftschef geht in den Ruhestand und sagt im Interview, was sich in Sachsen geändert hat.

Von Georg Moeritz

Herr Voigt, geht es für Arbeitnehmer in Sachsen bergauf oder bergab?

Wir haben vieles erreicht, aber nicht alles. Sachsen hat immer noch die rote Laterne bei Tarifbindung und Mitbestimmung, den schlechtesten Platz unter allen Bundesländern. Aber in manchen Betrieben ist es gegen den Widerstand der Geschäftsleitung in den vergangenen Jahren gelungen, Betriebsräte zu wählen und über Tarife zu verhandeln, etwa in Dresdens größter Fabrik Globalfoundries.

Dort ist es aber nicht zu einem Tarifabschluss für die 3.400 Beschäftigten gekommen, rechnen Sie noch damit?

Bei Globalfoundries sind die Verhandlungen weit fortgeschritten, aber in der jüngsten Runde gab es auch eine gewisse Verhärtung der Positionen. Da ist nicht auszuschließen, dass wir den Druck wieder vors Werktor bringen müssen. Die Dresdner Mikrochipfabrik von X-Fab haben wir in die Tarifbindung gebracht, daran sieht man, dass es geht. Nun will Infineon 1.000 zusätzliche Arbeitsplätze schaffen, es gibt immer mehr Wettbewerb um Fachkräfte.

Sie gehen jetzt in den Ruhestand, was muss Ihr Nachfolger anders machen?

Wir müssen in vielen Dingen digitaler werden. In Coronazeiten ist es uns schon gelungen, in Betrieben digitale Präsenz zu zeigen. Bei Betriebsversammlungen kam früher ein Teil der Belegschaft im Speisesaal zusammen. Jetzt sind bei Online-Übertragungen häufig mehr Teilnehmer zugeschaltet. Unser klassisches Handwerkszeug ist ja, in Betriebe zu gehen oder vor dem Tor Flugblätter zu verteilen. Wir wollen auch künftig gerne mit den Leuten direkt sprechen.

Wofür setzt sich die IG BCE im Bezirk Dresden-Chemnitz sonst gerade ein?

Mit 170 zu betreuenden Betrieben sind wir ein großer Bezirk. In 38 Betrieben gibt es Haustarifverträge, das ist viel. Manche sind für zwei Jahre und länger abgeschlossen worden, als noch niemand Energiekrise und zweistellige Inflationsraten erwartet hat. Wir fordern zusätzlich zu den laufenden Verträgen Inflationszulagen.

Sind die Arbeitgeber bereit zu solchen zusätzlichen Einmalzahlungen?

Die Arbeitgeber reagieren unterschiedlich. Aber viele erkennen, dass es gute Argumente für die Inflationszulagen gibt. Die Arbeitgeber müssen etwas für die Attraktivität ihrer Arbeitsplätze tun, sie erkennen ja den Mangel an Fachkräften.

Können Arbeitnehmer jetzt mehr durchsetzen?

Ja, gerade jüngere Mitarbeiter sind wechselwilliger. Wenn die Bedingungen aus ihrer Sicht im Betrieb nicht stimmen, schauen sie sich anderswo um. Vor 15 Jahren hätte sich kaum ein Bewerber getraut, im Vorstellungsgespräch zu fragen, ob es Tarifvertrag und Betriebsrat gibt. Das hat sich geändert, die Bewerber werden mutiger. Es sind legitime Fragen, damit braucht man sich nicht zu verstecken.

Ihre Betriebe sind sehr unterschiedlich, vom Energieversorger über den Chiphersteller bis zur Zahnpastafabrik – da kommen Sie doch nicht überall gut voran?

Beim Dresdner Zahnpastahersteller Dental-Kosmetik haben wir immer wieder Streiks organisiert. Inzwischen merkt das Unternehmen, dass es teure Leiharbeiter beschäftigten muss, weil sonst keine Mitarbeiter mehr zu finden sind. Nur noch kurzsichtige Arbeitgeber halten es für einen Wettbewerbsvorteil, niedrige Löhne zu zahlen, und das in der Region Dresden.

Das Foto zeigt Gerald Voigt bei einer Streikkundgebung in Dresden.
Einsatz am Megafon: Gerald Voigt bei einer Streikkundgebung beim Dresdner Putzi-Hersteller Dental-Kosmetik. Neben ihm der stellvertretende Bezirksleiter Norbert Winter. © Archivfoto: Rene Meinig

Woran liegt es denn, dass gerade in Sachsen besonders viele Betriebe nicht nach Tarif zahlen?

Sachsen hat eine sehr kleinteilige Wirtschaft. Viele Jahre lang hat die Wirtschaftsförderung die niedrige Tarifbindung als angeblichen Standortvorteil herausgestellt. Viele Betriebe sind auf der grünen Wiese ganz neu aufgebaut worden.

Die SPD stellt den Arbeitsminister, Martin Dulig, und trotzdem hat das Land eine niedrige Tarifbindung?

Ich will der SPD keinen Vorwurf machen. Sie positioniert sich klar. Dulig ist auch bei Globalfoundries aufgetreten, der duckt sich nicht weg. Politische Appelle wie die vom Arbeitsminister sind eine Unterstützung. Aber gestalten können wir nur, wenn die Leute in den Betrieben den Arbeitgebern zeigen, was sie wollen. Wir führen Haustarifverhandlungen nur noch, wenn wenigstens die Hälfte der Beschäftigten bei uns Mitglied sind.

Das sieht nach einer hohen Hürde aus …

Die großen Chemiebetriebe zum Beispiel sind gut organisiert: Wacker in Nünchritz, Siltronic und FCM in Freiberg und das Reifenwerk von Goodyear Dunlop Tires in Riesa. Auch beim Medizinproduktehersteller B. Braun ist der Organisationsgrad hoch und wir haben einen Haustarifvertrag. Unsere Mitglieder fordern allerdings auch, dass sie einen Bonus bekommen. In der Papierbranche etwa gibt es für Gewerkschafter 100 Euro zusätzlich pro Jahr für die Altersvorsorge.

Ihre IG BCE ist zuständig für die Mikrochipfabriken von Globalfoundries und X-Fab, aber die IG Metall für Infineon und Bosch – aus historischen Gründen. Zeit für eine Bereinigung?

Da gibt es ein Abgrenzungspapier, das passt so. Es wäre falsch, einen Konflikt zwischen IG Metall und IG BCE zu konstruieren. Das sind zwei selbstbewusste große Industriegewerkschaften, die ihr Handwerk verstehen. Freilich gibt es manchmal Reibungspunkte. Wir haben beide jetzt vor allem die Sorge, woher künftig die Energie für unsere Betriebe kommt – in unseren Branchen zum Beispiel für Papier, Feinkeramik, Kunststoff, Glas, chemische Prozesse.

Wird die Energiewende gelingen?

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Ich mache große Fragezeichen. Deutschland ist in vielen Dingen viel zu schwerfällig. Wir versuchen den Spagat: Einerseits sollen wir klimaneutral werden. Aber sobald es konkret wird und zum Beispiel ein Windrad in der Nähe aufgebaut werden soll, ändert sich die Haltung. Solange wir da nicht vorankommen, werden wir unsere Klimaziele verfehlen.

Das Gespräch führte Georg Moeritz.

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