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Schneiden und richten

Hans-Jürgen Herrmann sollte einmal Erich Honeckers Friseur werden. Seit der Wende hilft er, für Gerechtigkeit zu sorgen.

Lesedauer: 3 Minuten

Den Friseurberuf wollte er anfangs gar nicht ergreifen, erzählt er. In der Lehre sei er der einzige Mann in der Klasse gewesen. Die Berufswahl sei familiär bedingt gewesen. Der Vater hatte im heute polnischen Teil von Görlitz ein Friseurgeschäft mit 15 Angestellten. Nach dem Krieg ging die Familie aus der Neißestadt weg und kam nach Nauwalde. Hier ist Hans-Jürgen Herrmann zur Schule gegangen und bis heute heimisch.

Kurze Karriereunterbrechung

Gearbeitet hat der 74-Jährige jedoch lange im benachbarten Brandenburg. Oder im Bezirk Cottbus, wie es früher hieß. Als frisch gebackener Meister kam er Ende der 1960er zur PGH „Elegant“ in Bad Liebenwerda. Das Geld für den teuren Meisterlehrgang hatte er sich mit dreijähriger Arbeit als Fahrer im Riesaer Baumaschinenkombinat verdient. Bis heute die einzige Unterbrechung seiner Friseurkarriere.

Im Lauf der Jahre brachte es Hans-Jürgen Herrmann bis an die Spitze der Liebenwerdaer PGH mit ihren 28 Geschäften und 160 Beschäftigten. Daneben bildete sich der Nauwalder weiter. Schrieb am Lehrprogramm für angehende Friseure mit. Frisierte zu Schauzwecken in Polen, Ungarn und Tschechoslowakei. Wurde Obermeister. Erhielt Auszeichnungen.

Auf den versierten Haar-Handwerker wurde auch der DDR-Machtapparat aufmerksam. „Mir wurde gesagt, ich soll Friseur von Honecker werden“, erinnert Herrmann, der auch schon DDR-Prominenz wie den Moderator Karl-Eduard von Schnitzler („Der Schwarze Kanal“) für Auftritte zurechtgemacht hatte. Hand an Honeckers Haare hat der Nauwalder allerdings nie angelegt. Warum nicht, hat er erst Jahre später erfahren. 

Von einem reumütigen Haarmodell, das als Stasi-Spitzel auf ihn angesetzt war – und aus seiner Stasi-Akte. Den Unterlagen zufolge war Hans-Jürgen Herrmann „1984 für eine Tätigkeit als Friseurmeister im Hause des ZK der SED vorgesehen“. Ermittlungen des DDR-Geheimdienstes wiesen jedoch auf „umfangreiche Verbindungen in die BRD und nach Westberlin“ hin. Für die Stasi Grund genug, den geplanten Einsatz des Nauwalders als Figaro fürs Zentralkomitee „nicht zu bestätigen“.

Tatsächlich habe er Verwandtschaft im Westen gehabt, erzählt Hans-Jürgen Herrmann. Seine Schwestern seien noch vorm Mauerbau dorthin gegangen. Auch er selbst wollte 1961 in die Bundesrepublik. Aber seine Friseurausbildung habe bis Ende August gedauert. Die Mauer aber wurde am 13. August gebaut. Also blieb er in der DDR. Die Nähe zur Partei habe er aber nie gesucht, sagt Hans-Jürgen Herrmann.

Dass er nie in die SED eingetreten ist, sei ihm auch als PGH-Chef immer wieder vorgehalten worden. Noch vor der Wende hörte der Nauwalder deshalb dort auf und machte sich selbstständig. Weil sich die erhoffte Übernahme eines Geschäfts in Riesa zerschlug, eröffnete Hans-Jürgen Herrmann in 1989 einen Salon in der späteren Zeithainer Bundeswehrkaserne. Daneben frisierte er auch, wie schon in der DDR, Kunden daheim.

Den Laden bei der Bundeswehr gibt es seit der Abwicklung des Standorts nicht mehr. Altersmäßig könnte Hans-Jürgen Herrmann längst das Rentnerdasein pflegen. Sein Friseurgewerbe hat der Nauwalder aber nach wie vor.

Ehrung vom Justizminister

Auch, um weiter in einem Ehrenamt arbeiten zu können, das er inzwischen seit mehr als 25 Jahren bekleidet: Seit der Wende ist Hans-Jürgen Herrmann Laienrichter. Unter anderem beim Arbeitsgericht. Dort vertritt er bis heute die Arbeitgeberseite. Besonders nach der Einheit gab es da viel zu tun, erinnert sich der Vater eines Sohnes und Großvater einer Enkelin. Inzwischen gebe es nur noch drei, vier Prozesse im Jahr.

Aber auch im Strafrecht hat Hans-Jürgen Herrmann Erfahrungen gesammelt. Zwanzig Jahre war er beim Riesaer Jugendschöffengericht. Seit 2014 ist er Schöffe beim Dresdner Landgericht, wo teils schwere Straftaten verhandelt werden. Die höchste Strafe, die unter Mitwirkung des Nauwalders verhängt wurde, waren acht Jahre Freiheitsentzug. Details der Fälle versucht Hans-Jürgen Herrmann nicht zu nah an sich heranzulassen.

Für seine jahrelange Arbeit als Richter im Ehrenamt ist Hans-Jürgen Herrmann vor Kurzem persönlich von Sachsens Justizminister Sebastian Gemkow (CDU) geehrt worden. Eine Ehrung, die den bescheidenen Nauwalder stolz macht.

Beendet ist die Laienrichter-Karriere des Friseurmeisters aber damit nicht. Ab nächstem Jahr bis 2024 ist Hans-Jürgen Herrmann als Laienrichter beim Dresdner Sozialgericht gesetzt. Die ersten Verhandlungstermine hat er schon. Was an Freizeit noch bleibt, verwendet der seit mehr als 50 Jahren mit Ehefrau Anita verheiratete Nauwalder unter anderem aufs Chorsingen. Auch im Stadtrat gehört er zu den Stammgästen im Publikum. Einfach zu erkennen am stets gepflegten Vollbart.

 

Von Eric Weser

Foto: © Lutz Weidler

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