Das Görlitzer Turbinenwerk von Siemens, das erst im vergangenen Jahr durch eine große Protestbewegung von Mitarbeitern und Görlitzer Bürgerschaft vor der Schließung bewahrt werden konnte, gehört auch zu der Kraftswerkssparte bei Siemens, die nun abgespalten und bis September 2020 an die Börse gebracht werden soll.
Nach Auskunft einer Siemens-Sprecherin ändert sich aber in Görlitz bis zu dem angepeilten Börsengang nichts, anschließend kann das börsennotierte Unternehmen neu entscheiden – muss es aber auch nicht. Görlitz ist im Siemens-Verbund die weltweite Zentrale für das Geschäft mit Industriedampfturbinen.
Zu der Einigung mit der Belegschaft im September vergangenen Jahres gehörte der Abbau von 170 der 720 Vollzeitstellen in Görlitz. Insgesamt wird die Belegschaft des Görlitzer Werkes mit 900 angegeben, weil es viele Teilzeitstellen gibt. Außerdem gehörte zu den Festlegungen vom Spätsommer vergangenen Jahres die Vorgabe, dass das Görlitzer Werk bis 2020 die Gewinnzone wieder erreicht. Da dieses Sparprogramm Teil der nun verkündeten Umstrukturierungen ist, bleibt es auch dabei. Mit verschärften Sparbedingungen wird andererseits aber auch nicht gerechnet.
Bundesweit seien fast 20 Standorte mit zusammen deutlich mehr als 20.000 Beschäftigten von dem Umbau der Kraftwerkssparte bei Siemens betroffen. In Berlin würde dann fast die Hälfte der Siemens-Beschäftigten in dem ausgegliederten Unternehmen arbeiten. Es gehe um rund 6000 der etwa 12.500 Siemens-Mitarbeiter in der Hauptstadt, sagte Birgit Dietze, Erste Bevollmächtigte der IG Metall Berlin, am Mittwoch. Zu den Werken, die im Zuge des jüngst angekündigten Konzernumbaus abgespalten werden sollen, zählten in der Hauptstadt in erster Linie das Gasturbinenwerk und Teile des Schaltwerks. Im Osten Deutschlands ist nach Angaben der Gewerkschaft neben Görlitz auch der Standort Erfurt mit 500 Mitarbeitern.
Am Dienstagabend hatte der Konzern verkündet, dass er die kriselnde Sparte "Gas und Power" ausgliedern und bis September kommenden Jahres an die Börse bringen will. An dem neuen Unternehmen will Siemens etwas weniger als 50 Prozent halten. Gesamtbetriebsrat und IG Metall hatten der Abspaltung unter Bedingungen zugestimmt. So soll das neue Unternehmen etwa weiterhin in Deutschland gelistet sein, betriebsbedingte Kündigungen sind laut IG Metall ausgeschlossen. Akut in Gefahr seien die rund 20.000 Jobs nach Einschätzung von Gewerkschafterin Dietze daher nicht.
Jürgen Kerner, Hauptkassierer der IG Metall und Aufsichtsratsmitglied der Siemens AG, bewertete die Änderung laut einer Mitteilung insgesamt positiv: "Es entsteht ein Unternehmen, das trotz mancher Unwägbarkeiten insgesamt die besseren Perspektiven für die Beschäftigten bietet."
Auch Ilko Vehlow von der IG Metall Erfurt nannte diese Lösung in einer Mitteilung eine "deutlich bessere Option, als der Verkauf an etwaige Mitbewerber" gewesen wäre. Denn deren Ziel wäre aus seiner Sicht vermutlich eine "Marktbereinigung" gewesen, keine Steigerung der Produktionskapazitäten.
Auch Jan Otto von der IG Metall Ostsachsen, die für den Standort Görlitz zuständig ist, hob am Mittwoch hervor, dass die Kernforderungen der Arbeitnehmervertreter erfüllt worden seien. "Natürlich ist die Zukunft damit weiterhin verdammt herausfordernd." Erst im Herbst hatte Siemens den Görlitzern zugesagt, den Standort zur weltweiten Siemens-Zentrale für Industriedampfturbinen auszubauen. Konzern-Chef Joe Kaeser betonte am Mittwoch, dass die Vereinbarung auch im neuen Unternehmen weiter Bestand habe. (WiS)
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