Georg Moeritz
Dresden. Erzgebirgische Volkskunst trifft auf Dresdner Spannbeton: Auf einer Verkaufstheke auf dem Dresdner Striezelmarkt, zwischen zwei hölzernen Schneemännern, erhebt sich ein stattlicher Räuchermann mit Bauhelm und Pfeife. Er trägt eine Schaufel in der Linken und ein Baustellen-Verkehrsschild in der Rechten. Ein Umleitungsschild steht vor ihm. Die Figur steht auf einem Klotz mit der aufgeklebten Beschriftung „Umleitung Carolabrücke“. Ein neues Souvenir, das an die Baustelle der eingestürzten Carolabrücke in Dresden erinnert.
Der Dresdner Händler Ulrich Pötschke mit seiner Handelsagentur Ulrico bietet den Carolabrücken-Räuchermann an, an seinem Stand B9 nahe der großen Pyramide. Er hat ein Preisschild mit der Aufschrift „83 Euro“ angebracht. Doch wer hatte die Idee zu dem Souvenir und wer stellt es her? „Ich habe mir das überlegt“, sagt der Händler, der seit 30 Jahren auf dem Dresdner Striezelmarkt seinen Verkaufsstand aufstellt.
„Gutartiges“ zur Carolabrücke
Pötschke selbst hat Holzklötze beklebt und nutzt sie als zusätzliche lose Sockel für die Baustellen-Räuchermännchen. Die Bauarbeiter-Figur ohne Sockel gab es schon vor dem Einsturz der Dresdner Brücke. Sie gehört zu einer Serie von Räuchermännern der Drechslerei Findeisen aus Pockau-Lengefeld im Erzgebirge. Deren Name steht auch unter dem Fußteil, das die Klemme für die Räucherkerze enthält. Rund 60 Figuren in unterschiedlicher Montur gehören zu der Serie, sagt der Händler.
Der Volkskunst-Fachmann sagt, er habe etwas zur Carolabrücke machen wollen, „aber gutartig“. Schließlich sei es schlimm, dass die Dresdner Elbbrücke zusammengebrochen sei. Sein Bauarbeiter trägt keine Abrisswerkzeuge, er weist nur auf die Umleitung hin. Doch der Sockel mit schwarzer Schrift auf gelbem Grund fällt auf: „Jeder Hundertste nimmt das Handy und fragt, ob er ein Foto machen darf“, sagt der Händler. Er lässt es zu. Ja, verkauft habe er auch schon welche, sagt er auf Nachfrage.
Trümmersteine und Künstlerisches von der Caraolabrücke
Der Räuchermann ist nicht das einzige Souvenir zur eingestürzten Carolabrücke in Dresden. Schon Anfang Oktober, wenige Wochen nach dem Einsturz vom 11. September, legt der Dresdner Händler Hendrik Dietrich Trümmersteine in seinen Geschenkeladen Catapult an der Rothenburger Straße – mit Echtheitszertifikat und aufgeklebter Plakette. Er bot sie je nach Gewicht für 10 bis 20 Euro an. Über die Website wurden rasch 200 Steine geordert. Mehrere Künstler hatten die Idee, die schräg stehenden Brückenteile zu zeichnen, zum Beispiel der Dresdner Kunststudent Nick Raster, der Litografien seiner Ansicht anbot.
Räuchermänner zur Trümmerbrücke aber sind bisher nicht aufgetreten. Dabei hat es durchaus Tradition, Ereignisse in Erzgebirgischer Volkskunst aufzugreifen. Nach dem Elbehochwasser gab es gedrechselte Fluthelfer mit Sandsack. Zur Corona-Zeit brachte es der Berliner Virologe Christian Drosten zu einem hölzernen Abbild in großer Auflage: Der Spielzeugmacher Tino Günther karikierte Drosten als Räucherfigur mit Kittel und Mundschutz. Voriges Jahr nahm die Seiffener Volkskunst einen Klimakleber ins Programm, und auch Kanzlerin Angela Merkel wurde schon – stark stilisiert – zum Mini-Kunstwerk.
„Das Erzgebirge lebt ja von Ideen“, sagt Händler Pötschke, der früher einen Betrieb in Seiffen hatte und Kurrendesänger aus Holz produzierte. Auf seiner Visitenkarte steht „Diplom-Ingenieur Holztechnik“. Vom Fach zu sein habe Vorteile, sagt der 69-Jährige. Er kenne „alle erzgebirgischen Hersteller, und die kennen mich.“ Er kaufe gern bei kleinen Lieferanten und bekomme rasch Nachschub. Für die nächste Saison bestelle er schon im Januar.