Von Nora Miethke
Mit der Entscheidung der Ampelkoalition, den Zuschuss für niedrigere Stromübertragungsnetzentgelte in Höhe von 5,5 Milliarden Euro für 2024 zu streichen werden die Stromrechnungen für private Haushalte und Unternehmen vermutlich steigen. Um wie viel, das lässt sich derzeit noch nicht sagen. Bei den Energieversorgern muss neu gerechnet werden – auch in Sachsen.
„Es hätte Preissenkungen geben können. Ob wir das noch machen können, wissen wir nicht.“, sagte Stephan Lowis, Vorstandschef der Envia-M-Gruppe, Ende vergangener Woche auf der Tagung „Zukunft braucht moderne Energieinfrastrukturen!“ in der sächsischen Landesvertretung in Berlin. Er rechnet durch den Wegfall der Zuschüsse mit Mehrkosten von 1,6 bis 2 Cent pro Kilowattstunde für die Endkunden. Vorstände und Geschäftsführer von Envia-M, Leag, Wacker, Ontras Gastransport GmbH und 50 Hertz Transmission GmbH diskutierten über die Folgen des Sparpakets der Bundesregierung.

© Envia-M
Eigentlich sollte auch Michael Kellner, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz, auf dem Podium sitzen, doch er war kurzfristig erkrankt und musste absagen. Auch Ministerpräsident Michael Kretschmer verschwand nach seinem Impulsvortrag und konnte nicht mehr hören, was die Energieexperten zu seiner Forderung meinten, es sei jetzt Zeit, Geschwindigkeit aus dem Prozess zu nehmen und die Energiewende neu zu überdenken.
Dirk Biermann, Geschäftsführer für Märkte und Systemführung beim Übertragungsnetzbetreiber 50 Hertz Transmission, teilt die Ansicht nicht. „Wir müssen weiter auf Schnelligkeit schauen, aber auch auf Effizienz“, so Biermann. Die jetzige Lage mache deutlich, „die Energiewende ist nicht für Null zu haben“. Für künftige Ausbauprojekte müsse dringend die Frage gestellt werden: „Wollen wir wirklich die 20 Milliarden Euro in die Hand nehmen, um die Kabel in die Erde zulegen oder ist nicht eine Freileitung besser“. 50 Hertz betreibt ein Freileitungsnetz von 10.000 Kilometern, davon 1.000 Kilometer und 15 Umspannwerke in Sachsen. Der Freistaat müsse sich keine Sorgen um seine Versorgungssicherheit machen, da Sachsen auf der Seite des Überschussstromes liege. Aufgrund von Netzengpässen gibt es Probleme, grünen Strom von Nord nach Süd zu transportieren, was den Netzausbau erfordert.
Die Ausbaugeschwindigkeit hängt laut Lowis von der Verfügbarkeit von Flächen ab. „Wir haben in Sachsen noch Flächen, die ausgebaut werden können. In meinem Netz, da ist noch Platz“, sagte der Envia-M-Chef. Das Netzgebiet des größten regionalen Energiedienstleisters in Ostdeutschland erstreckt sich über Süd- und Westsachsen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg. In Brandenburg liege das Verhältnis bei der Erzeugung von Erneuerbaren Energien versus Endverbrauch im Netz bei 300 Prozent, in Sachsen seien es 50 Prozent. „Wir können noch zusätzlich Wind und Solar aufnehmen und das wird auch von der Industrie und den Endkunden eingefordert“, so Lowis. Faktoren, die den Ausbau hemmen, sind Lieferengpässe und fehlende Fachkräfte. Envia-M braucht in den kommenden vier Jahren nach eigenen Angaben bis zu 1.300 neue Mitarbeitende. Aber auch die mangelnde Akzeptanz erschwert den Ausbau. So hat das Unternehmen laut Lowis über 15 Jahren lang eine 110 KV-Hochspannungsleitung geplant. 15 Jahre habe die Bürgerinitiative geklagt und letztendlich gewonnen. „Da geht es um 10 Kilometer und wir fangen wieder von Null an“, sagte Lowis.
Große Enttäuschung in energieintensiver Industrie
Vor allem in der energieintensiven Industrie ist die Enttäuschung groß über die Entscheidungen der Ampelkoalition. Sie stellen die Zusage infrage, dass Strompreisniveau für die Industrie zu stabilisieren. Das entsprechende Strompreispaket war erst eine Woche vor dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts verabschiedet worden. Es enthält im wesentlichen zwei Elemente: die Senkung der Stromsteuer auf das EU-zulässige Mindestmaß von 0,05 Cent je Kilowattstunde für das produzierende Gewerbe und die Verlängerung der Strompreiskompensation für 340 große Stromverbraucher aus der Industrie.
„Viele Entscheidungen sind noch nicht unternehmerisch bewertbar“, betonte Jutta Matreux, Werkleiterin von Wacker Chemie in Nünchritz. Das Werk hat eine hohe Elektrifizierungsquote von über 70 Prozent. Deshalb ist die Entlastung bei den Strompreisen essenziell. „Wichtig ist jetzt, was nachkommt“, so Matreux. Viele Wettbewerber von Wacker Chemie Nünchritz sitzen in Westchina, da liegen die Strompreise bei 2 bis 3 Cent die Kilowattstunde. Die beschlossenen Entlastungen hätten nur dazu geführt, dass Energie „nur zwei bis dreimal so teuer ist wie in China“. Wenn sie wegfallen und man wieder bei vier- bis sechsmal so teuer ist, „dann wird der Wettbewerb eines Tages nicht mehr möglich sein“, warnte Matreux. Sie engagiert sich in der Energie- und Wasserstoffallianz im Industriebogen Meißen. Ihrer Ansicht nach könnten Aufklärungsarbeit, Bürgerbeteiligung und fairere regionale Netzentgelte für die ländlichen Regionen die Akzeptanz für die Energiewende verbessern.

© Klaus-Dieter Brühl
Kretschmer hatte in seinem Impuls kritisiert, die Bundesregierung hätte in Brüssel nur über die Entschädigung für die RWE AG für den vorgezogenen Kohleausstieg verhandelt, aber nicht über die Entschädigung für den Lausitzer Energiekonzern Leag. Laut Thorsten Kramer, Vorstandschef der Leag AG, sei nach der Genehmigung für RWE mehr Dynamik in den Prozess gekommen „Ich glaube, dass da in den nächsten Wochen mehr Energie frei werden wird in diesen Gesprächen“, so Kramer. Die vereinbarten Entschädigungszahlungen in Höhe von 1,75 Milliarden Euro sollen in Vorsorgegesellschaften für die Renaturierung der Tagebaue fließen. Wenn sie nicht in voller Höhe genehmigt werden, muss die Leag für die Zahlungen aufkommen. Das würde Investitionen in die grüne Transformation des Unternehmens erschweren.
Kramer wartet wie viele aus der Energiewirtschaft auf die neue Kraftwerksstrategie der Bundesregierung. Sie war für den Sommer diesen Jahres versprochen, verzögert sich aber. „Wenn man bis 2030 Wasserstofffähige Kraftwerke ans Netz bekommen will, muss jetzt die Strategie kommen“, so der Leag-Chef. Was gerade in Berlin passiere, sei „absolut kontraproduktiv“. Wenn man den Kohleausstieg vorziehen und in eine Energiewende kommen will, „die nicht weit von 2030 entfernt ist“, bräuchte man eine maximale Beschleunigung der Prozesse. „Wir sind nicht gut unterwegs in Deutschland. Das sieht eher nach 2035 aus“, so Kramers Fazit.