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Vaude-Chefin über Unternehmer-Kollegen: „Man hört vor allem viel Jammern“

Die Unternehmerin Antje von Dewitz – Chefin von Vaude – wirft ihren Managerkollegen zu wenig Engagement gegen Populisten und zu wenig Bereitschaft für Veränderungen vor.

Lesedauer: 5 Minuten

Das Bild zeigt eine Frau mit einem Rucksack.
Antje von Dewitz – Chefin der bekannten Outdoor-Marke Vaude – hält viel von Haltung. © PA/dpa

Von Wolfgang Mulke

Seit 2009 leitet Antje von Dewitz, Jahrgang 1972, das Familienunternehmen Vaude im baden-württembergischen Tettnang. Der Outdoor-Ausrüster hat seine Produktion und Unternehmensführung auf Nachhaltigkeit umgestellt. Dies müsse der Staat durch die Steuerpolitik auch anderen Unternehmen abverlangen, fordert sie.

hr Unternehmen setzt auf Nachhaltigkeit. Was bedeutet das konkret?

Wir gehen als Familienunternehmen schon seit 15 Jahren konsequent den Weg der nachhaltigen Transformation. Das bedeutet konkret, dass wir soziale und ökologische Ziele gleichberechtigt neben die wirtschaftlichen Ziele gestellt haben. Leider ist es aber immer noch so, dass es viel teurer ist, diesen nachhaltigen Weg zu gehen. Wir haben mehr Kosten, mehr Aufwand und auch mehr Zielkonflikte. Und damit haben wir auch einen Wettbewerbsnachteil gegenüber Unternehmen, die sich nicht nachhaltig aufstellen. Noch ist es also ein Pionierweg.

Ihre Produkte sind relativ teuer. Wenn Transformation alles teurer macht, wie kann dann die soziale Nachhaltigkeit erhalten werden?

Unsere Produkte sind im preislichen Mittelfeld der Outdoorprodukte von Markenherstellern. Wir können es uns gar nicht leisten, alle Mehrkosten, die durch Nachhaltigkeit entstehen, einzupreisen. Und dennoch, unsere Produkte sind damit schon teurer geworden. Doch soziale Nachhaltigkeit bedeutet für mich in erster Linie, dass die Leute, die am Produkt mitarbeiten, auch davon leben können. Das gilt es in erster Linie anzustreben. Billige Preise etwa bei Lebensmitteln oder Textilien entstehen häufig, weil sowohl die Menschen als auch die Natur ausgebeutet werden. Wir gehen einen anderen Weg, weil unsere Produkte einen Großteil der wahren Kosten enthalten, die wir dafür aufwenden, dass sie fair und umweltfreundlich hergestellt werden. Damit sie bezahlbar bleiben, investieren wir in neue Geschäftsmodelle, etwa indem wir unsere Produkte vermieten oder einen Secondhand-Store aufbauen, der in ein paar Monaten an den Start gehen soll. So werden sie auch anderen Kunden mit schmalerem Budget zugänglich.

Wie könnte es in anderen Branchen gelöst werden?

Wir befinden uns am absoluten Kipppunkt unseres Planeten und haben bereits sechs der neun planetaren Grenzen überschritten. Das bedeutet, dass es Zeit ist zu handeln. Nachhaltigkeit ist heute eine moderne Businessdisziplin, auch für die Zukunftsfähigkeit der Unternehmen. Flankierend muss die Politik alles unternehmen, damit überall die wahren Kosten eingepreist werden. So könnte man das Steuersystem darauf ausrichten, wie nachhaltig Unternehmen sind. Für nachhaltige Waren könnten dann zum Beispiel geringere Mehrwertsteuersätze erhoben werden als für konventionelle Produkte.

Populisten gehen erfolgreich auf Stimmenfang mit dem Argument, dass die Leute sich Produkte nicht mehr leisten können. Treiben ihre Ideen den Populisten nicht noch mehr Anhänger in die Arme?

Das Problem dieser Argumentation der Populisten ist, dass sie wichtige Fakten, wie etwa die Klimakrise, einfach ausblendet. Und das verfängt auch leider. Ich halte die Gefahr, dass unsere Gesellschaft politisch noch weiter nach rechts driftet und in einem nächsten Schritt dann nachhaltige Erfolge wieder rückgängig macht, wie jüngst in Schweden, für sehr real und ebenso bedrohlich.

Unsagbar wichtig bei der nachhaltigen Transformation finde ich daher, den Fokus darauf zu legen, wie ich die Leute mitnehmen kann. Das bedeutet in der Konsequenz, dass ich dann politisch wie auch wirtschaftlich eben nicht immer den geradlinigsten Weg zum Ziel gehen kann, sondern auch Umwege laufen muss. So ein Brückenenergiepreis, wie er gerade für die Industrie diskutiert wird, halte ich unter diesen Gesichtspunkten für einen nachvollziehbaren Umweg.

Stemmt sich die Wirtschaft genug gegen den Populismus?

Nein, tut sie nicht und das ist erstaunlich, denn der Populismus gefährdet unseren Wirtschaftsstandort Deutschland, davon bin ich überzeugt. Eine große Gefahr sehe ich darin, dass ausländischen Bürger und Fachkräften das Land vermiest wird. Dabei herrscht schon jetzt in Deutschland ein eklatanter Fachkräftemangel, der in den nächsten Jahren allein aufgrund der demografischen Entwicklung dramatisch ansteigen wird. In zwölf Jahren haben wir sieben Millionen Arbeitnehmer weniger als heute auf dem Arbeitsmarkt, weil die Babyboomer in Rente gehen. Die Slogans der rechten Populisten, die sich gegen unsere ausländischen Mitbürger richtet, sehe ich tatsächlich als eine Gefahr für den Wirtschaftsstandort Deutschland und unseren Wohlstand.

Sie werfen Kollegen in anderen Unternehmen vor, dass sie dazu nicht deutlich Stellung nehmen. Woran liegt das?

Ich halte es für wichtig, in diesen Zeiten öffentlich Haltung zu zeigen, auch wenn es oft Mut kostet, vor Journalisten oder der Kamera deutliche Worte zu finden. Viele Unternehmen überlassen das jedoch ihren Verbänden. Viele sehen es eben als ihre Aufgabe an, Arbeitsplätze zu schaffen und Steuern zu zahlen, und sind nicht geübt darin, Haltung zu zeigen. Dabei zeigen Vertrauensstudien deutlich, dass die Menschen in Deutschland gerade der Wirtschaft zutrauen, in Krisenzeiten Lösungen zu finden. Und was macht die Wirtschaft? Da hört man vor allem viel Jammern und Schimpfen, statt den Dialog mit Politik und Gesellschaft zu suchen und als Mutmacher und Hoffnungsspender in diesen polarisierenden Zeiten zu wirken.

Ist Ihre Strategie auf die Auto-, Stahl-, Zement- oder Chemieindustrie übertragbar?

Grundsätzlich ja, denn durch den komplexen Transformationsprozess muss jedes Unternehmen durch. Um diese Komplexität zu bewältigen, brauchen wir aber auch einen grundlegenden Kulturwandel in der Industrie, in der Führung eben nicht mehr bedeutet, dass die Geschäftsführung ein Machtwort spricht und sagt, wo es lang geht. Aus meiner Erfahrung gelingen Transformationsprozesse, die mit vielen Zielkonflikten, mit Mehraufwand und Mehrkosten verbunden sind, nur, wenn Teams gemeinsam und interdisziplinär an Lösungen arbeiten und so zu Zukunftstreibern werden.

Sehen Sie diesen Kulturwandel in der Industrie?

Leider noch viel zu wenig. Die Umsetzung ist nicht leicht. Du musst Altes loslassen. Du brauchst eine Vision. Diese Vision zu definieren, das ist die Aufgabe der Führung. Aber der Veränderungsprozess selbst findet bei jedem Einzelnen statt. Jeder einzelne Mitarbeiter muss Altes loslassen und mehr Verantwortung übernehmen. Es geht dabei eben nicht nur um die Optimierung von ökonomischen Kennzahlen, sondern auch um die Optimierung der sozialen und ökologischen Verantwortung. Wenn nicht alle im Unternehmen dieses Prinzip verinnerlichen, bleibt eine Anordnung von oben erfolglos.

Wie kann man den Reformstau in den Unternehmen auflösen? Muss da eine neue Führungsgeneration ans Ruder?

Wenn ich von dem notwendigen kulturellen Wandel spreche, dann ist es sicher so, dass da nicht jede Führungskraft bestehen kann. Bei einem komplexen Transformationsprozess entstehen neue Anforderungen, die nicht immer mit den Kompetenzen von Führungskräften vom „alten Schlag“ übereinstimmen. Aus unseren langjährigen Erfahrungen wissen wir, dass es immer Leute gibt, die sich nicht auf diese neue Reise begeben können oder wollen, auch weil zum Beispiel ihre Positionen mit Privilegien zusammenhängen, die sie nur ungern aufgeben wollen. Da steht dann der Status als Alphatier dem Teamgedanken entgegen.

Müssten die Eigentümer die Vergütung der Manager nicht stärker an Nachhaltigkeitszielen orientieren?

Wir haben in Deutschland wirklich gute Manager. Die richten sich nach ihren Zielen. Solange die allein ökonomischer Natur sind, werden nur Finanzkennzahlen optimiert. Da müsste meiner Meinung nach die Politik eine stärkere Aufgabe übernehmen. Es sollte zum Beispiel eine verpflichtende Nachhaltigkeitsberichterstattung geben, an der Unternehmen gemessen werden. Dann müssten Manager ganzheitliche Ziele erreichen.

Sie setzen sich schon lange für eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie ein. Wo sehen Sie da noch Handlungsbedarf?

Bei uns hatten wir schon vor Corona die Möglichkeit, von zu Hause aus zu arbeiten. Das hatte wir schon alles eingerichtet. Jetzt ist es selbstverständlich geworden. Wir haben Vertrauenszeit, Kinderbetreuung und mehr. Das bringt einen höheren Aufwand. Dafür haben wir eine Kinderquote, die viermal so hoch liegt wie im Durchschnitt der Bundesrepublik. Dem Aufwand steht ein Nutzen gegenüber, weil wir ein starkes Team haben. Das geben die Leute in Form von Energie wieder zurück.

Wie sieht es mit der 4-Tage-Woche aus?

Das diskutieren wir bereits. Als ich vor 20 Jahren angefangen habe, war die 60-Stunden-Woche keine Ausnahme. Wir haben es dann geschafft, auf 40 Stunden herunterzukommen. Heute steht uns viel Automatisierung bevor und wir werden damit immer effizienter. Wenn dabei die 4-Tage-Woche herauskommt, wäre das doch super. Wir investieren viel in eine Unternehmenskultur, in der wir auch unter flexiblen Bedingungen zurechtkommen. Denn wir sind davon überzeugt, das Menschen Lösungen finden, wenn sie mitgenommen werden und die Zusammenarbeit auf Augenhöhe stattfindet.

Das Gespräch führte Wolfgang Mulke.

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