Von Heiko Weckbrodt
Dresden. Sachsen statt Schwaben, Morpheus statt Mercedes, Ionenantrieb statt Sechszylinder: Wenn man so will, hat Martin Kelterer für einen Job in Dresden einen Stern gegen ein ganzes Universum eingetauscht. Allerdings hat er dafür auch einen gut dotierten Führungsposten bei der Marke mit dem berühmten Stern auf dem Motorgrill aufgegeben – nur um bei einem Jungunternehmen in Dresden noch mal neu zu starten. Warum eigentlich?
„110 Flüge und 200 Hotel-Übernachtungen pro Jahr… das muss man mögen. Oder eben irgendwann nicht mehr“, sinniert der studierte Elektroingenieur, der 26 Jahre lang in verschiedenen Positionen bei Benz tätig war. „Dazu kommt: Wenn man bei einem Automobilhersteller arbeitet, dann ist es letztlich immer dasselbe: vier Räder, ein Motor, ein Lenkrad.“ Immer öfter erinnerte sich Kelterer an jenes Gefühl, das er als Kind hatte, wenn Opa zum 999. Mal seine Kriegs-Geschichten heraus- kramte: immer wieder dasselbe!
Dabei hatte er im Süden Deutschlands zweifellos eine Karriere hingelegt, um die ihn manch anderer vielleicht beneiden würde: Ans Elektrostudium an der Uni Stuttgart schlossen sich Entwicklungsprojekte bei Fraunhofer an. Danach, bei Mercedes-Benz, arbeitete er sich vom Assistenten zum Leiter mehrerer Werke und schließlich bis zum Chef der gesamten Motoren-Produktion hoch. Doch irgendwann hatte er eben genug von einer recht ausgereiften Technologie auf vier Rädern, strebte im wörtlichen Sinne nach Höherem: „Ich wollte endlich mal etwas ganz anderes machen.“
Von Raumfahrt fasziniert
Da erzählte ihm ein Freund von diesem faszinierenden Start-up in Sachsen, ausgegründet aus der TU Dresden, das innovative Ionentriebwerke für Satelliten entwickelt, aber durchaus noch Hilfe bei seinen internationalen Expansionsplänen brauchen konnte. „Raumfahrt fand ich schon immer sehr faszinierend“, erzählt Martin Kelterer. „Außerdem hatte mein Vater früher Maschinenbau in Dresden studiert, es gab also schon Berührungspunkte.“ Und so kam es eben, dass er im August 2022 bei Morpheus Space seine neue Aufgabe als „Chief Operation Officer“ antrat, also als Chef fürs Tagesgeschäft neben Gründer und Geschäftsführer Daniel Bock.
Einen wichtigen Meilenstein haben beide erst kürzlich passiert, als sie die erste Morpheus-Fabrik für Ionentriebwerke in Dresden eröffneten. In der Raumfahrtbranche gilt das junge Unternehmen als vielversprechender Antriebs-Lieferant für navigierbare Klein-Satelliten. Und hiesige Politiker präsentieren die Uni-Ausgründung gern und oft als Beispiel, dass Sachsen im sogenannten „New Space“ mitmischen kann. Freilich werden Kelterer, Bock und das kalifornische Morpheus-Team noch viele Klinken bei Investoren und potenziellen Kunden putzen müssen, bis die neue Fab ausgelastet und das Unternehmen nicht mehr auf externe Kapitalspritzen angewiesen ist.
Langweilig wird es Kelterer insofern in Dresden bestimmt nicht werden, auch, weil die Innovationszyklen in der Raumfahrtbranche anders ablaufen als in der Automobilbranche. Bereut hat er den Schritt nach Sachsen jedenfalls nicht, sagt er – obgleich er seine Frau und seine erwachsenen Kinder in Stuttgart nun nur noch alle 14 Tage als Pendler sieht. „Das sind ganz tolle Menschen hier“, sagt er über die Sachsen im Generellen und das längst schon sehr international zusammengesetzte Morpheus-Team im Besonderen. Auch die Lebensqualität stimme: „Ich fahre oft mit dem Fahrrad in die Sächsische Schweiz, weiß inzwischen alles über August den Starken, und an die Besonderheiten der sächsischen Sprache habe ich mich gewöhnt“, erzählt er augenzwinkernd.
Nur auf die Landtagswahl schaute er schon im Vorfeld mit echter Sorge: „Ich sehe für die Wirtschaft hier große Probleme nahen, wenn diese blaue Partei siegt“, warnte er noch im August. „Ein paar von den internationalen Kollegen bei uns haben mich schon gefragt: ,Müssen wir dann gehen, wenn die gewinnen?‘“