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Warum reden wir nicht mehr sachlich ?

Ob Gendern, Klimakleber oder der Umgang mit Flüchtlingen: Noch nie wurde so unversöhnlich gestritten.

Lesedauer: 7 Minuten

Das Bild zeigt eine Frau und einen Mann beim streiten.
Bild von 123rf

Kommunikationsprofi Marie-Theres Braun erklärt, wie es besser geht.

Es ist gar nicht so lange her, da haben sich ganze Familien darüber zerstritten, ob es Corona tatsächlich gibt und man sich impfen lassen sollte oder nicht. Die Unversöhnlichkeit ist nicht kleiner geworden. Eine Ursache für die Polarisierung sieht Kommunikationspsychologin Marie-Theres Braun im aktuellen Trend vieler Ratgeber zum Nein-Sagen und Grenzen ziehen. Im Interview erklärt sie, warum Harmonie der Schlüssel zur Überzeugung ist.

Frau Braun, was ist schlecht daran, „Nein!“ zu sagen?

An einem „Nein“ ist nichts schlecht. Es ist sogar wichtig, sich abzugrenzen. Man muss generell „Ja“ und „Nein“ sagen können. Nur eben nicht zu früh. Und man sollte es nicht nur deswegen tun, weil jemand anderer Meinung ist.

Warum?

Weil wir dann Kritikfähigkeit verlieren, es nicht mehr ertragen, wenn jemand anderer Meinung ist. Dann verlieren wir die Chance, uns weiterzuentwickeln und umgeben uns nur mit den Menschen, die alles genauso sehen wie wir. Das Ziel muss sein, miteinander im Gespräch zu bleiben, auch wenn wir unterschiedliche Standpunkte oder Werte haben. Dann kann ich „Nein“ zum Standpunkt sagen, aber „Ja“ zum Menschen.

Das Foto zeigt eine Frau
Marie-Theres Braun ist Kommunikationspsychologin, Trainerin und Vorstandscoach. Sie lebt in Stuttgart. Foto: Sprecherhaus

Dafür haben Sie die kooperative Kommunikationsmethode entwickelt. Warum hielten Sie das für nötig?

Ich habe die Technik während der Coronazeit entwickelt. Da waren wir alle stark gestresst und es gab das Zwei-Gruppen-Denken: Auf der einen Seite die Schlafschafe, die dem nachrannten, was die Regierung sagt und die sich impfen ließen. Die anderen, die sich vielleicht nur mal leicht skeptisch geäußert haben, waren sofort die Covidioten. Wenn die Stimmung so aufgeladen ist, sind wir ganz schnell bei den Extremen. Dann gibt es nur noch dafür oder dagegen, ja oder nein. Die Facetten dazwischen sehen wir nicht mehr. Zusätzlich haben wir die vielen Wertethemen wie Gendern, Feminismus, Impfen. Sie sind identitätsstiftend und Teil unserer Persönlichkeit. Wenn jemand dagegen etwas sagt, fühlen wir uns als Mensch angegriffen. Das wollte ich entzerren.

Viele haben damit begonnen, brisante Themen um des lieben Friedens willen zu umgehen. Ist das der richtige Weg?

Nein, ganz und gar nicht. Kooperativ zu kommunizieren bedeutet nicht, dass wir immer eitel Sonnenschein haben und der gleichen Meinung sein sollen. Ich darf die andere Person mit Dingen konfrontieren, die ihr nicht gefallen. Es kommt nur darauf an, wie ich das tue. Unsere Gesprächskultur ist oft so, dass wir sofort schauen, wo wir unterschiedlicher Meinung sind und wo es Steine gibt, die ich aus dem Weg räumen möchte. Ich kann aufhören, mich zu fragen, wo ich nein sagen muss – und mich lieber fragen, wozu ich ja sagen kann.

Können Sie das bitte erklären?

Wenn sich zwei Menschen übers Gendern streiten, sind sie vielleicht unterschiedlicher Meinung, ob man das anwenden sollte oder nicht. Aber ich kann ja trotzdem anerkennen, dass die andere Person gerade für Gleichberechtigung einsteht – das möchte ich ja auch. Nur ist unser Weg dahin ein anderer. Wir teilen vielleicht nicht den gleichen Standpunkt, aber den gleichen Wert.

Was passiert mit dem Gegenüber, wenn er sofort ein „Nein“ hört?

Manche fühlen sich als Mensch abgelehnt und denken, sie sind falsch. Deswegen ist es wichtig, dass wir ein „Nein“ für den anderen leichter machen und ein Signal setzen, dass er und die Beziehung zu ihm mir wichtig sind, dass man aber seiner Bitte im Moment nicht nachkommen kann. Nehmen wir die Frage, ob ich beim Umzug helfen könnte. Dann kann ich sagen: „Das würde ich gern tun, leider geht es gerade nicht“ und als Alternative ein Gegenangebot machen. Ich zeige den guten Willen, und dass mir die Beziehung etwas wert ist

Das ist nun gerade ein leichtes Beispiel. Wie macht man das aber bei einer heiklen Meinungsverschiedenheit?

Auch da kann ich eine positive Beziehungsbotschaft senden. Wenn es zum Beispiel um Flüchtlinge, Rassismus, ums Impfen geht, kann ich sagen: Ich teile absolut nicht, was du sagst. Ich bin anderer Meinung, aber ich bleibe mit dir im Gespräch. Das kann ich der anderen Person mitteilen. Mensch und Sache zu trennen, ist wichtig. Ich kann sagen: Du bist ein Idiot. Oder ich kann sagen: Was du sagst, finde ich idiotisch. Das ist ein Unterschied.

Warum ist das wichtig?

So bleibt das Gespräch in Gang und der andere fühlt sich nicht komplett abgelehnt. Sonst würde er noch härter in seinem Standpunkt. Damit zeige ich ja auch Respekt. Das Wort kommt aus dem Lateinischen re-spicere: zurückschauen. Ich schaue also auf das, was die andere Person sagt und hake sie nicht sofort ab nach dem Motto: „Ich weiß schon, was du sagen willst – und das ist mir egal“, sondern ich lasse dich ausreden. Das Interessante ist, dass Menschen, die ausreden dürfen, eher bereit sind, ihren Standpunkt zu verlassen, als Menschen, die sofort unterbrochen werden. Geben wir sogar noch mit eigenen Worten wieder, was sie gesagt haben, verstärkt sich dieser Effekt. So erhöhen Sie die Chance, dass Ihr Gegenüber auch Ihnen zuhört und sich für Ihren Standpunkt öffnet.

Ist die Kommunikation in Ihren Augen gelungen, wenn sie so läuft?

Gelungen ist sie für mich, wenn beide in der Lage sind, ehrlich und klar zu sagen, was Sache ist, sich nicht auf die Lippen beißen, vor dem eigenen Standpunkt drücken und gleichzeitig dabei sensibel sind. Es gibt den Mythos: Entweder sage ich die Wahrheit, und die tut weh. Oder ich passe mich dem anderen komplett an und stehe mal wieder nicht für mich selbst ein. Aber das beides widerspricht sich ja gar nicht. Ich kann für mich einstehen, meine Meinung kundtun, ohne dabei verbrannte Erde zu hinterlassen und den anderen als Menschen zu diskreditieren.

Viele rechtfertigen sich dann gern mit ihrem Temperament: So bin ich eben.

Ja, aber das reicht nicht. Manche verstecken sich hinter einer falsch verstandenen Authentizität, mit der sie alles rücksichtslos rauslassen, was ihnen auf den Lippen liegt. Dann sind sie schonungslos offen. Damit unsere Botschaft von anderen angenommen werden kann, brauchen wir aber zusätzlich eine Sensibilität. Dann bin ich ja trotzdem ehrlich. Die Psychoanalytikerin Ruth Cohn beschreibt das als selektive Authentizität. Sie verbindet Ehrlichkeit und Feingefühl. Kommunikation ist für mich dann positiv und erfolgreich, wenn beide ihre entgegengesetzten Meinungen frei sagen können, ohne dass sie sich gegenseitig in Extreme stecken. Solche Stempel haben in der funktionierenden Gesprächskultur erst einmal nichts zu suchen.

Nur, weil man sich das alles anhört, heißt es ja noch lange nicht, dass man im Kopf mitgeht. Aber nur dann ist es möglich, in ein ernsthaftes Gespräch zu kommen. Lässt sich das trainieren?

Je emotionaler wir sind und je wichtiger uns das Thema ist, desto stärker ist unser Antwortreflex. Wir können erstmal gar nicht anders, als sofort dagegen zu schießen. Dazu kommt der Wunsch nach Schlagfertigkeit. Wir wollen dem anderen so gern mal richtig übers Maul fahren. Aber schlagfertig sein ist etwas anderes als überzeugen und gemeinsam zu einer Lösung zu kommen. Trainieren lässt sich das mit den Techniken der kooperativen Kommunikation. Der Blues-Pianist Daryl Davis hat das ganz wunderbar beherrscht, ein Schwarzer, der über 200 Rassisten davon überzeugt hat, aus dem Ku-Klux-Klan auszusteigen.

Wie hat er das denn gemacht?

Er ist nicht mit dem Ziel in die Gespräche mit dem Klan-Chef in Maryland gegangen, ihn zu überzeugen. Sondern er hatte das Ziel, ihn verstehen zu wollen: „Ich möchte verstehen, wie der darauf kommt, dass Schwarze weniger wert sind als Weiße.“ Mit dem Ziel des Verstehens hat er den ausreden lassen. Verstehen und Verständnis ist nicht Einverständnis. Nur, weil ich die andere Person ausreden lasse und verstehe, warum sie wie über was denkt, heißt das nicht, dass ich danach sage: „Stimmt, deine Perspektive ist auch richtig.“ Es gibt Menschen, die liegen absolut falsch, Rassisten zum Beispiel. Aber ich muss sie aus zwei Gründen ausreden lassen.

Welche wären das?

Erstens muss ich wissen, was sie bewegt. Denn nur, wenn ich deren Motive und Argumente kenne, kann ich meine Argumente in einer späteren Phase des Gespräches genau darauf anpassen. Und zweitens stelle ich dadurch eine Beziehung her. Die andere Person merkt: „Die hört mir zu und stempelt mich nicht sofort ab.“ Denn, was ist das denn für ein Signal, wenn man den anderen unterbricht? Das zeigt ja, dass man nicht eine Sekunde darüber nachgedacht hat, dass es sinnvoll sein könnte, was er zu sagen hat – und dann wird das, was man entgegensetzt, weniger ernst genommen. Daryl Davis hat ganz lange Beziehung aufgebaut, das ging über Jahre. Als das geschafft war, hat er die Ku-Klux-Klan-Mitglieder ganz hart mit den Fakten konfrontiert. Und das zeigt, dass wir uns eher von Freunden als von Fremden etwas sagen lassen. Wir brauchen erst eine Beziehung zueinander, damit die andere Person uns ernst nehmen kann.

Wie definieren Sie in diesem Zusammenhang Harmonie?

Menschen wollen oft gar nicht überzeugt werden. Sie wollen lieber recht haben. In uns allen steckt ein kleiner Besserwisser. Menschen tun mehr dafür, ihre Meinung beizubehalten, als sie zu ändern, weil jemand anderes gute Argumente hat. Da malen wir unsere Welt auch so, wie sie uns gefällt. Deshalb ist es wichtig, ihnen in so vielen Punkten oder Teilaspekten wie möglich recht zu geben. Das ist dann die goldene Brücke zu meiner Meinung. Es geht ja auch nicht immer um Überzeugung, sondern darum, dass ich es schaffe, dass die andere Person auch mir zuhört und sich für meinen Standpunkt öffnet.

Wie macht das ein Chef, wenn er etwas durchsetzen muss, was den Mitarbeitern nicht passt?

Als vorgesetzte Person geht es darum zu zeigen, dass es kein rücksichtsloses Befehlssystem ist. Sondern ich kann für Transparenz sorgen und Erklärungen liefern. Das fördert Vertrauen und nimmt den Eindruck, dass über Köpfe hinweg entschieden wird. Als Zweites kann man Gegenargumente vorwegnehmen. Damit gibt man das Signal, dass die Meinung der Mitarbeiter ernst genommen und in die Überlegung mit einbezogen wird. Manchmal klappt es auch, seinem Team ein Mitbestimmungsrecht einzuräumen und lösungsorientierte Fragen zu stellen. Selbst wenn es dann anders gemacht werden muss, wurden Mitarbeiter trotzdem gehört. Studien zeigen, dass Menschen zufriedener mit Verhandlungs- oder Diskussionsergebnissen sind, wenn sie ihre Meinung sagen durften, selbst wenn das Ergebnis nicht zu ihren Gunsten ausfällt.

Ähnlich verhält es sich doch auch im Privaten, oder?

Wenn man sich manchmal verstrickt und in eine „Ja-aber-Spirale“ kommt und es sich hochschaukelt, könnte man erst einmal eine konkretisierende Rückfrage stellen: „Was genau stört dich, wie siehst du das?“ Das Gespräch nimmt eine andere Dynamik, wenn man den anderen zum Reden bringt. Man soll keine Angst vor Emotionen haben. Die sind wie ein prall gefüllter Luftballon. Der muss angepikt werden, damit die Luft sich entladen kann und es danach etwas ruhiger zugeht.

Was raten Sie Menschen, die zu cholerischen Reaktionen neigen?

Wampe locker lassen. Wenn wir aufgeregt sind und sich die Diskussion hochschaukelt, spannt sich der komplette Körper an, auch der Bauch. Dann haben wir nicht mehr die tiefe Bauchatmung, das Gehirn wird nicht mehr gut mit Sauerstoff versorgt. Deshalb: Klappe halten und erst mal tief durchatmen, besonnen und ruhig reagieren. Die Antwort, die später rauskommt, ist eine andere, als die, die man nach einer Sekunde rausschießen würde.

Das Gespräch führte Susanne Plecher.

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