Wer interessiert auf die drei großen silbernen Wohnwagen mit dem Logo der Deutschen Bahn (DB) schaut, wird höflich, aber konsequent angesprochen: „Kann ich Dir helfen?“, fragt der junge Mann im roten T-Shirt mit einem Tablet-PC in der Hand, der vor dieser Kulisse am Dresdner Hauptbahnhof entlangtigert. Viele Passanten wundern sich über die Zelt- und Wagenburg. „Ich wollte mal schauen, was die Bahn hier anbietet“, stammle ich. Was der Bahn-Mitarbeiter nicht weiß: Ich will erleben, was die DB in ihrer Personalnot unternimmt, um Leute zu rekrutieren.
Der Staatskonzern möchte die Zahl seiner Beschäftigten in Deutschland massiv aufstocken: um 100.000 auf dann über 300.000. Allein in Sachsen soll die Belegschaft in diesem Jahr um 1.110 Beschäftigte wachsen. Die „DB Job-Tour“, die anfang der Woche in Dresden Station gemacht hat, soll dabei helfen.
Als ich morgens kurz nach zehn mit zwei jungen Eisenbahnern in grünen Shirts in einem der amerikanischen Wohnwagen bin, wird mir schnell klar: Auch in der Not wird aus einem Sozialwissenschaftler nicht im Handumdrehen ein Handwerker. Fahrdienstleiter zu werden fände ich spannend, einer, der entscheidet, wann welcher Zug auf welchem Gleis abfährt.
Die Bahn sucht Quereinsteiger, heißt es auf Plakaten und in sozialen Netzwerken. Für Leute mit technischer Ausbildung dauert der Umstieg gerade mal ein halbes Jahr. Mein geisteswissenschaftliches Studium bringt mir nichts, ich müsste von vorn anfangen. Irgendwie ist es beruhigend, dass Leute mit Vorkenntnissen die Sicherheit der Reisenden verantworten. Eine junge Mitarbeiterin hat eine Idee, die besser passen könnte: Ein Praktikum im DB-Marketing. Es wird verbindlich: Meine Daten kommen in ein Online-Formular, Stellen in ganz Deutschland werden auf dem Tablet angezeigt. Das ist der Zeitpunkt als mir die „DB Job Tour“ sozusagen auf Durchreise einen Job beim Konzern schmackhaft macht.
Um die Hürden für Jobaspiranten zu senken, hat die Bahn Anschreiben bei Bewerbungen abgeschafft. Jetzt geht sie in die Offensive: Das Ensemble aus Wohnwagen und Pavillions macht in 28 Städten Halt, in Dresden stellen 25 Mitarbeiter das selbst ernannte „Unternehmen Zukunft“ vor. Die meisten Rekrutierer sind zwischen Ende 20 und Mitte 40 – Profis aus der Personalabteilung ebenso, wie Lokführer, die direkt aus dem Führerstand berichten.
Bauer sucht nicht Frau, sondern Job
Die DB wirbt vor allem um Menschen mit abgeschlossener Ausbildung, die sie in einem bis eineinhalb Jahren zum Beispiel zu Lokführern umschulen kann oder die als Zugbegleiter arbeiten. 500 Leute – meist Männer –, sind an diesem Tag dem Ruf gefolgt. Viele wollen sich erst einmal informieren. 15 bis 20 Minuten nehmen sich die Bahn-Mitarbeiter pro Person Zeit, potenzielle Kandidaten können sich ins Karriereportal der Bahn eintragen und bekommen später passende Jobangebote zugesandt. Interessieren würden sich die Leute vor allem für Aufstiegschancen und den Arbeitsort, weniger fürs Gehalt, sagt einer, der die Gespräche führt.
Ahmed Emam kommt spontan zum Gespräch. Der Ägypter studiert in Freiberg, hat auf dem Weg zum Bahnhof den Stand entdeckt und will herausfinden, ob er später bei der Bahn eine Chance hätte.
Wer Lebenslauf und Zeugnisse dabei hat, kann sich vor Ort bewerben. Wenn alles passt, geht er mit einer Zusage nach Hause, zumindest für einen „Recall“. Wie viele intensive Vorstellungsgespräche ein Tag bringt, verrät die Bahn nicht – realistisch dürften 80 sein, bei denen Bewerber sofort Bescheid bekommen.
Wer Nägel mit Köpfen machen will, hat sich vorher angemeldet – wie Julian Rübel, der wie andere noch bei einem anderen Unternehmen in Lohn und Brot steht und nicht mit seinem Namen in der Zeitung auftauchen möchte. Der 29-Jährige ist Ingenieur. Sein Arbeitsvertrag läuft aus. Bei der Bahn hat er sich beworben, weil er sich dort gute Aufstiegschancen erhofft, die – anders als etwa in der Autobranche – in der Zukunft eher wachsen als sinken: „Die Bahn wird aus dem Mobilitätswandel als Profiteur rausgehen“, ist er sich sicher.
Es ist dieser Ruf des Zukunftsmachers, der der Bahn bei ihre Personaloffensive in die Karten spielt. Dort zu arbeiten, kann sich auch ein Bauer aus dem Zwickauer Land vorstellen. Dem sonnengebräunten Gesicht des 56-Jährigen sieht man an, dass er viel an der Luft ist. Er musste nach Generationen die Milchkühe auf seinem Hof aufgeben und sucht jetzt für sich und seinen 26-jährigen Sohn eine Beschäftigung, bei der er weiter unter freiem Himmel schuften kann. Bei der Bahn hofft er auf einen Job in der Region, etwa als Gleisbauer. Machen Bahn und Politik ernst mit ihren Plänen, müssen im Osten viele Strecken ausgebaut werden. Oder der Radebeuler Peter Keller, der im Moment Braunkohle zu Strom macht und ahnt, dass er mit einem Job bei der Bahn längerfristiger planen kann.
Der Unternehmen ist mit der Werbetour in Dresden zufrieden. In Leipzig seien zwar mehr Leute gewesen – in der Landeshauptstadt „dafür die Qualifikation der Interessenten außergewöhnlich hoch“, sagt Tina Lehmann, die die Personalgewinnung in Sachsen verantwortet. Trotz der Einstellungseuphorie mahnt die Lokführer-Gewerkschaft GDL: Die Ausbildungsqualität dürfe nicht leiden, nur um schnell mehr Leute ins Unternehmen zu bringen.
Und mein Fazit: Ein Marketing-Praktikum bei der DB finde ich tatsächlich spannend, da war die Beratung passgenau. Auch für andere Vorsprecher ist ein Bahn-Job nach diesem Erlebnis eine Option. Und selbst wenn die Verantwortlichen keine Zahlen preisgeben – es würde mich nicht wundern, wenn einige hängenbleiben.
Von Julius G. Fiedler
Foto: © Thomas Kretschel