Von Henry Berndt
Die Inflation ist hoch, das Budget in vielen Familien knapp. Wie können Kinder da ein gesundes Verhältnis zu Geld entwickeln? In der Oberlausitz gibt es jetzt ein eigenes Schulfach dazu.
Fritz hat vier Dosen. In die erste steckt er das „Zettelgeld“, das er für das Sammeln von Pfandflaschen bekommt. Mit diesen Einnahmen kann er machen, was er will. Am liebsten kauft er sich davon Spielzeugtraktoren. In die zweite Dose kommen die mittelfristigen Ersparnisse, in die dritte langfristige und in die vierte Dose die Spenden für einen guten Zweck. Fritz ist vier Jahre alt und weiß längst, welche Pfandflaschen ihm wie viele Cents einbringen.
„Er verdient sein eigenes Geld und weiß, was das bedeutet“, sagt seine Mutter Alin Gründer stolz. Die 31-Jährige wohnt in der Oberlausitz und ist von Beruf – wen sollte das überraschen – Finanzberaterin. Aus ihrer Sicht können Kinder nicht früh genug lernen, verantwortungsvoll mit Geld umzugehen und die Grundprinzipien unseres Wirtschaftssystems zu verstehen. „Im sächsischen Bildungsplan gibt es da meiner Ansicht nach eine große Lücke“, sagt sie. Gerade jetzt in Zeiten von Inflation und Krise zeige sich, wie wichtig es sei, mit Geld umgehen zu können, sei es in den Familien chronisch zu wenig, gerade so ausreichend oder im Überfluss vorhanden.
Als im vergangenen Jahr an der Oberschule in Bernstadt auf dem Eigen im Landkreis Görlitz nach Ideen für Ganztagsangebote gesucht wurde, kam Alin Gründer die Idee, das Thema Geld in den Mittelpunkt eines Kurses zu rücken. Während sich andere Schüler nach dem Unterricht mit Angeln, Kochen, Fotografie oder Klimaschutz beschäftigen, wollte sie die jungen Leute für Aktien, Versicherungen und Altersvorsorge begeistern. Okay, sagte die Schule, wenn sich mindestens fünf Schüler anmelden, könne sie loslegen. Und so kam es.
Dienstag, 13.30 Uhr im Englischraum. Alin Gründer malt das Finanzdreieck an die Tafel. Ganz unten Versicherungen und Rücklagen als Basis, in der Mitte die Altersvorsorge, ganz oben an der Spitze kurzfristige Ausgaben. Vor ihr sitzen sieben Schüler an den Bänken. Auf ihren Heftern ist der Titel des Kurses zu lesen: „Geld verstehen“. Seit Anfang des Schuljahres treffen sie sich alle zwei Wochen und lernen, warum Geld so wichtig ist und dass bestimmte Sätze, die man oft hört, auch mal hinterfragt werden sollten. Zum Beispiel: „Über Geld spricht man nicht.“
Justus ist 14 und geht in die 7. Klasse. Immer, wenn seine Mutter ihn nach dem Kurs abholt, fragt er sie Löcher in den Bauch, über die Themen, die gerade behandelt wurden. Welche Versicherungen brauchen wir? Was sind Investitionen? Wann sollte man Aktien kaufen? Seine Mama sei da ganz offen, sagt Justus. „Sie weiß ja, dass ich mir immer so viele Gedanken mache.“

Das Finanzdreieck werden die Schüler aus dem Kurs so schnell nicht mehr vergessen.© Ronald Bonß
Eine Sache habe er aber immer noch nicht verstanden: „Warum schämen sich so viele Erwachsene, über ihr Gehalt zu reden?“ Alin Gründer versucht sich an einer Erklärung: „Die Erwachsenen haben Angst, sich mit anderen vergleichen zu müssen. Arbeit kann nicht so einfach verglichen werden, aber Verdienste sind Zahlen, die man vergleichen kann.“ Justus gibt sich noch nicht zufrieden: „Es kann doch jeder was dagegen machen, wenn er zu wenig verdient.“ Da muss Alin Gründer schmunzeln. „Ja, irgendwie schon.“ Aber ganz so einfach ist es dann eben doch nicht.
„Finanzen verstehen, ist wie eine Sprache zu lernen. Man muss sie sprechen, um besser zu werden“, sagt Alin Gründer. Um die Schüler nicht zu überfordern, rattert sie nicht einfach ihre Beratungsthesen runter, sondern leitet jedes Thema mit naheliegenden Fragen ein. „Bevor du dich bewegst, musst du wissen, wo du hinwillst“, lautet eine der kindgerechten Weisheiten.
Was bedeutet Erfolg? Was heißt es, reich zu sein? In einer der ersten Stunden notierte Leon auf einem Arbeitsblatt zu seinen Wünschen und Zielen: „Ich möchte ein cooles Auto und in einem großen Haus mit meiner Familie wohnen.“ Außerdem steht auf seinem Wunschzettel, dass er viele Länder und Städte bereisen will. Und ganz am Ende: „10. Klasse schaffen“. Sein Geld will Leon mal als Kranfahrer verdienen, vielleicht auch als Notfallsanitäter oder Schauspieler. Manchmal hilft er schon auf Dorffesten aus, verkauft Fischbrötchen.
Ministerium gibt Taschengeld-Empfehlungen
Die 13-jährigen Emma und Danny tragen dagegen Zeitungen aus, Justus sammelt bei Festen manchmal die leeren Flaschen ein und freut sich, wenn er dafür hier und da einen Euro zugesteckt bekommt. Zuletzt hat Justus lange darauf gespart, sich einen eigenen Computer kaufen zu können. Im April war es endlich so weit. Seine Mutter war anfangs nicht gerade begeistert davon, weil sie Angst hatte, dass er nun nur noch vor dem Bildschirm hockt. „Aber das ist ja mein Geld, deswegen kann ich es ausgeben, wofür ich möchte“, sagt er selbstbewusst und schickt etwas leiser hinterher: „Solange die Noten stimmen.“
Leon gibt manchmal Geld für In-Game-Käufe aus, um innerhalb eines Spiels oder einer App weiterzukommen. Danny sammelt dagegen Modellautos. Gerade spart er auf einen BMW E34 im Maßstab 1 zu 18. Um die 50 Euro muss er dafür schon berappen, aber das ist es ihm wert.
Fast alle im Kurs bekommen regelmäßig Taschengeld. Nicht nur für Alin Gründer spielt das eine wichtige Rolle. Das Bundesfamilienministerium gibt dazu Empfehlungen, wenngleich es betont, dass Eltern ganz allein entscheiden, ob und wie viel Taschengeld sie zahlen. Gesetzliche Regelungen gibt es dazu nicht. Unter sechs Jahren empfiehlt das Ministerium symbolische Beträge ab 50 Cent, die wöchentlich übergeben werden. Ab zehn Jahren könnten Beträge ab 16 Euro auch monatlich gezahlt werden, da die Kinder dann in der Lage seien, sich das Geld selbst einzuteilen.
Emma ärgert sich manchmal, wenn sie sich von ihren Freundinnen dazu verleiten lässt, ihr Geld im Supermarkt für Energydrinks auszugeben. Meist bleibe sie aber stark und spare jetzt schon auf ihren Führerschein. Das klingt verantwortungsbewusst und ist Musik in den Ohren der Kursleiterin. Justus setzt noch einen darauf und erzählt, dass er nur widerwillig Geld von seiner Rolli-Oma annehme, weil er ja dafür nichts leisten würde.
Bleibt die Frage: Ab wann ist es wirklich sinnvoll, Kindern den Wert von Geld nahezubringen? Während einige Kindergärten in Sachsen das Thema aktiv begleiten, bitten andere die Eltern, ihrem Nachwuchs bitte keine Münzen zum Spielen mitzugeben. Im sächsischen Bildungsplan für Krippen und Kindergärten wird im Bereich „Mathematische Bildung“ angeregt, den Kindern mit Geld das Zählen nahezubringen und über einen Kaufmannsladen im Spielzeugfundus nachzudenken.
Soll es aber das 47-teilige Set mit echter Registrierkasse für 74 Euro sein oder reicht auch die einfache Variante für 20 Euro? Online kaufen oder vielleicht lieber in einen echten Spielwarenladen gehen? Spätestens dort fällt auf, dass zu fast jeder Holzspielkasse heute neben Münzen und Scheinen auch ein Holzterminal gehört, durch das man seine Holzkarte ziehen kann.
„Sie wussten es nicht besser“
„Geld ist im Alltag häufig ein abstraktes Thema“, sagt Anika Görner, Redakteurin des Magazins Finanztip und Gastgeberin des Podcasts „Auf Geldreise“. „Wir zahlen vielfach digital, an der Supermarktkasse zücken wir die Bankkarte.“ Kinder wüssten zunächst nicht, dass ihre Eltern in dem Moment Geld gegen Nudeln, Brot oder Eis tauschen. Wer ab und zu mal bar bezahle, der mache Geld sichtbarer. „Und warum nicht das Kind selbst die Münzen beim Einkauf auf den Tresen legen lassen?“
Alin Gründer glaubt, dass viele Erwachsene heute zu spät oder gar nicht die Möglichkeit bekommen, ein gesundes Verhältnis zum Thema Geld zu entwickeln. „Ich selbst habe mit 27 Jahren bewusst angefangen, mich mit Finanzen zu beschäftigen“, sagt sie. „In meinen Augen definitiv zu spät, aber meine Eltern haben damals eben das gemacht, was sie auch von ihren Eltern gelernt haben. Sie wussten es nicht besser.“
Ihre Motivation für den Kurs an der Oberschule sei es nun in gewisser Weise, „diese Wunde zu heilen“ und einen kleinen Teil dazu beizutragen, dass die Kinder von heute später einmal ihren Kindern vermitteln können, dass Geld nichts Schlechtes ist und nicht nur Probleme bringt.
Auf die Wortwahl kommt es an
Besteht nicht aber die Gefahr, dass Kinder dann irgendwann nur noch die Maximierung ihres Vermögens im Kopf haben? „Geld ist wie eine Lupe“, sagt Alin Gründer. „Es zeigt, was schon da ist. Bin ich ein guter Mensch und habe viel Geld, bringe ich noch Besseres in die Welt – schaffe Arbeitsplätze, spende, unterstütze gemeinnützige Projekte. War ich vorher schon ein Arsch, bin ich dann eben ein Arsch mit viel Geld. Das liegt in der Erziehung der Kinder. Geld als Werkzeug kann nichts dafür, wie ein Mensch wird.“
Auf einer der Spardosen, die ihr Sohn Fritz in seinem Zimmer stehen hat, steht „Gute Tat“. Der Vierjährige soll lernen, auch teilen zu können. Gerade will er davon Futter für die Tiere im Tierpark kaufen.
Seine Mutter ist sich bewusst, dass in vielen Familien gerade kein Geld für Spenden übrig ist. Einer Studie der Bertelsmann Stiftung zufolge ist in Sachsen gerade jedes fünfte Kind und jeder dritte junge Erwachsene armutsgefährdet. Die Auswirkungen der Coronakrise und des Krieges in der Ukraine spürt jeder im Portemonnaie. Ist es da ein Wunder, wenn Eltern mit ihren Kindern nun besonders ungern über ihre Ausgaben reden?
„Ein offener Umgang mit dem Thema Geld ist grundsätzlich wichtig“, sagt Anika Görner vom Magazin Finanztip. „Eltern sollten auch finanzielle Engpässe ansprechen.“ Allerdings komme es dabei auf die Wortwahl an, um das Kind nicht zu verunsichern. Möchte es beispielsweise ein teures Spielzeug haben, komme schnell die Antwort: „Das können wir uns nicht leisten.“ Den besseren Lerneffekt hätte der Finanzexpertin zufolge die Aussage: „Wenn wir das jetzt kaufen, haben wir nicht mehr genug Geld für deine neuen Schuhe.“
Den Schülern und indirekt ihren Eltern Ängste zu nehmen, ist auch eines der Ziele von Alin Gründer an der Oberschule in Bernstadt. So langsam hat sie ein Gefühl dafür gewonnen, wo sie ihre Schützlinge abholen kann. Die 13- und 14-Jährigen lümmeln in ihren Bänken, machen auch mal Quatsch, schalten aber trotz der vielen Theorie nicht ab. „Am Anfang dachten die Schüler noch, eine Berufsunfähigkeitsversicherung ist so etwas wie Hartz IV“, erinnert sich Alin Gründer. „Dafür wussten sie überraschenderweise schon, was Depots sind und wie man investiert.“
Zeit für einen kleinen Test zwischendurch: „Kann mir denn jemand den Unterschied zwischen Brutto und Netto erklären“, fragt sie. „Netto ist ein Supermarkt“, scherzt Leon. Den Gag konnte er nicht liegenlassen. Dann aber nähern sich die Schüler gemeinsam der richtigen Antwort. „Brutto ist brutal viel, netto net so viel“, bekommen sie noch als Eselsbrücke mit.
Wenn das Interesse der Schüler nicht abebbt und sich der Kurs etabliert, plant Alin Gründer für kommendes Schuljahr ein Wirtschaftsplanspiel, in das sie dann auch Neueinsteiger einbinden möchte.
Zuletzt hat die Gruppe im Kurs gemeinsam ein Konzept für ein Sommerfest erarbeitet. Was wird an Essen und Getränken gebraucht? Wie viele Leute müssen kommen? Müssen sie Eintritt zahlen? Brauchen wir Sponsoren? Das Konzept liegt nun fertig in der Schublade. Möglicherweise dürfen Alin Gründer und ihre kleinen Euro-Helden es noch in diesem Sommer in die Tat umsetzen.