Von Georg Moeritz
Leipzig. Matthias Lux hat einen neuen Partner gefunden: Der Chef der Stadtwerke Halle an der Saale braucht Geldgeber, um gewaltige Fotovoltaik-Felder zu bestücken. Die Hallenser wollen Freiflächen-Solaranlagen mit 800 Megawatt Leistung bauen lassen. Für einen Teil der Investitionen kommt Geld von der Ingenieurversorgung Baden-Württemberg. Diese berufsständische Altersversorgung für Mitglieder der süddeutschen Ingenieurkammer suchte nach Anlagemöglichkeiten und fand sie bei dem ostdeutschen Stadtwerk. Ein gemeinsames Unternehmen mit je 50 Prozent Anteilsbesitz wurde gegründet. Geschäftsführer Lux berichtete beim Sustainable Finance Gipfel im November in Leipzig, die neuen Geldgeber aus Stuttgart seien „nicht die einzigen, aber die flexibelsten“ unter den möglichen Partnern gewesen. Damit sicherten sich die Stadtwerke Halle eine Finanzierung in einer Größenordnung von zehn Millionen Euro. Es ist ein Baustein der Energiewende, einer von sehr vielen.
Viele offene Fragen
Alle Stadtwerke stehen vor „gigantischen Herausforderungen“, sagt Florian Gräßler, Geschäftsführer der Landesgruppe Sachsen im Verband kommunaler Unternehmen VKU. Die Energiewende sei das „Leitmotiv“ für die kommenden Jahre. Nicht mehr über die Wende an sich werde diskutiert, sondern über die richtigen Wege. Die Unternehmen müssen zum Beispiel schätzen, wie die Gasnetze in 15 Jahren aussehen werden. Wie viele Kunden werden sie dann haben? Wird sich die Kapazität der Stromnetze verdoppeln? Dafür sind Investitionsentscheidungen zu treffen und Mittel zu suchen.
Die Stadtwerke Leipzig machen ein Gaskraftwerk „wasserstoff-ready“, ihre Chemnitzer Kollegen stellen ihr Braunkohle-Heizkraftwerk außer Dienst. „Im Kleinen tut sich auch viel“, sagt Gräßler. Im ländlichen Raum seien mehr Flächen verfügbar. Die Kommunen hätten die Möglichkeit, wieder „mehr Wertschöpfung“ zu sich zu holen. Gräßler rät den Managern der Energiebranche, sich bei ihren Kollegen aus der Trink- und Abwassersparte über Erfahrungen bei der Zusammenarbeit und Finanzierung zu informieren. „Das Gute ist, dass es einen ganzen Strauß von Möglichkeiten gibt.“
Die Stadtwerke Halle haben schon zweimal Bürger mit Nachrangdarlehen an der Finanzierung beteiligt. Wenn Lux’ Mitarbeiter gerade nicht so viel zu tun hätten, gäbe es in diesem Quartal die dritte Auflage, festverzinslich. Einige Millionen Euro kamen über solche Darlehen aus der Bürgerschaft zusammen. Anfangs beteiligten sich aber weniger Anleger als erhofft. Lux vermutet, dass es an den strengen Vorschriften für die Wertpapierprospekte lag: Darin müssen die Risiken klar benannt werden, das schreckt ab.
Neue Infrastruktur in Ostsachsen
Um wie viel Geld geht es? Allein die Dresdner Sachsen-Energie mit ihren Marken Enso und Drewag wird bis 2045 voraussichtlich 13 Milliarden Euro in neue Infrastruktur in Ostsachsen investieren, davon 1,5 Milliarden in die Klimaneutralität. Vorstand Axel Cunow berichtete vor Kurzem von den Vorhaben: Dazu gehört „Ergrünung der Fernwärme“ durch Nutzung von industrieller Abwärme, den Einsatz von Großwärmepumpen und -speichern sowie von Elektrodenheizkesseln. Darüber hinaus sind die thermische Abfallverwertung und der Einsatz von Wasserstoff Bausteine, um die CO2-Emissionen zu neutralisieren. „Wo neue Technologien heute noch nicht in sich wirtschaftlich sind, braucht es Förderung“, betonte der Sachsen-Energie-Manager in Dresden.
Pro Jahr hat die Energiewende in ganz Deutschland in nächster Zeit 100 Milliarden Euro Finanzierungsbedarf. Das ergibt sich aus einer Schätzung des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft BDEW vom Frühjahr. Bis 2030 sind 600 bis 800 Milliarden Euro auszugeben. 351 Milliarden stehen in der Schätzung für Anlagen zur Energie-Erzeugung, 126 Milliarden für den Stromnetzausbau. Wahrscheinlich sind die Zahlen schon wieder überholt, die Baukosten steigen. Gunda Röstel, Geschäftsführerin der Stadtentwässerung Dresden, sagt: „Je schneller die Transformation geht, desto kostengünstiger“. Immerhin werde langfristig in den Bestand investiert.
Die BDEW-Abteilungsleiterin für Betriebswirtschaft, Tanja Utescher-Dabitz, sagte auf der Leipziger Tagung, die Aufmerksamkeit in der Politik sei gerade hoch für das Thema. Nun brauche es einen Schulterschluss von Energiewirtschaft und Finanzwirtschaft. Die Branchenexpertin sagte: „Wir stecken in einer der größten Transformationen, die man sich vorstellen kann.“ Die erneuerbaren Energien müssten ausgebaut und zugleich zukunftsfähige Technologien entwickelt werden. Utescher-Dabitz nannte Beispiele für den notwendigen Ausbau: bis 2040 Verdreifachung der Windenergie an Land, Verzehnfachung der Windkraftleistung vor der Küste und fast Verachtfachung der Fotovoltaik. „In den Wintermonaten wird Wind unsere wesentliche Energiequelle“, sagte sie.
Keine unbegrenzten Kredite
Zugleich seien Investitionen in Digitalisierung und Verkehrswende zu stemmen. „Hinreichend diversifiziertes Kapital ist nötig“, sagte die BDEW-Abteilungsleiterin in Leipzig. Die Innenfinanzierungskraft und Schuldenfähigkeit der Unternehmen von heute würden nicht ausreichen. Die Finanzierung müsse auf viele Schultern verteilt werden, alle Finanzierungsinstrumente müssten genutzt werden. Dazu gehörten auch Versicherungen und Pensionskassen. Derzeit decken Bankkredite laut Verband bei kleinen und mittleren Unternehmen 70 bis 80 Prozent der Finanzierungen – doch die seien nicht unbegrenzt ausdehnbar.
Banken sehen genau hin, weiß Utescher-Dabitz: In der Energieversorgung geht es oft um sehr langfristige Finanzierungen mit sehr langen Rückflüssen. Selbst wenn sie wollten, dürften die Banken aufgrund der staatlichen Regulierung nicht alles übernehmen.
Mehr als 2.000 Energieunternehmen, darunter private und kommunale, müssen ihre Investitionsraten vervielfachen. Sie suchen neue Partner. Sie informieren sich jetzt über Anleihen, Schuldscheindarlehen, hybride Wertpapiere. Kommunale Versorger können ein eigenes Energiewende-Geschäftsmodell möglicherweise auslagern in separate Gesellschaften und dafür Partner suchen. Möglicherweise müssen sich die Unternehmen für die Neuerungen auch personell verstärken, sagte die BDEW-Expertin.
Der Verband fordert von der Politik, die Eigenkapital-Anforderungen zu senken. Finanzierungslaufzeiten von 20 bis 30 Jahren scheitern oft an Fristüberschreitungen. Auch Pensionskassen haben strikte Anforderungen für Anlagen, dafür müssen womöglich Ausnahmen erlaubt werden, vielleicht mit staatlicher Absicherung. „Wir wollen nicht nach staatlichen Geldern schreien“, sagte Utescher-Dabitz, aber der Staat sei ein wichtiger Partner für Garantien und Bürgschaften. Über Superabschreibungen für Investitionen wie beim Aufbau Ost müsse diskutiert werden – immerhin rechne sich die neue Wertschöpfung für den Staat. Die Förderbanken seien zentral bei der Finanzierung der Energiewende.
Katrin Leonhardt, Vorstandsvorsitzende der Sächsischen Aufbaubank (SAB), sprach von einem notwendigen „Umdenken in der Förderpolitik“. Bisher werde in Deutschland viel über Zuschüsse für ganz normale Investitionen finanziert. „Künftig müssen wir fragen: Was zahlt ein in die Energiewende?“ Laut Leonhardt müssen Anreize geschaffen werden, damit privates Kapital in die richtigen Kanäle fließt. Kapital, „das es ausreichend gibt“, da ist sich die Aufbaubank-Chefin sicher.
Zudem müssten vorhandene Förderprogramme weiterentwickelt werden. Sachsen-Kredite für Erneuerbare Energien und Speicher sollen nächstes Jahr folgen. „Wir müssen aus dem gleichen Geld mehr machen“, sagte Leonhardt.