Irmela Hennig
Es dauerte nur Sekunden, dann waren sie gesprengt: drei Kühltürme des Braunkohlekraftwerks Boxberg im Norden des Landkreises Görlitz. Außer Betrieb sind die alten Riesen schon seit 1996. Bisher war die reichlich 24 Hektar große Fläche, auf der sie standen, nicht gebraucht worden. Nun, am Nikolaustag, wurde dort Platz geschaffen. Und zwar für einen Baustein im Plan „Gigafactory“, mit dem der Energieversorger Leag die Transformation umsetzen will – weg von der Kohlenutzung hin einem umweltverträglichen Mix auf Basis von Sonne, Wind, Wasserstoff und Energiespeicherung.
Dort wo bislang die Türme standen, wird die Leag eine Großbatterie errichten lassen. Um tausend Megawatt installierte Leistung geht es. Das sei dann wirklich „Giga“, wie Adi Roesch informierte. Seit Mitte September ist der aus Süddeutschland stammende Manager Vorstandsvorsitzender des Bergbau- und Kraftwerkunternehmens Leag. Zuvor war er in gleicher Position beim Osnabrücker Bauunternehmen Köster Holding tätig.
Noch mehr Giga – ein Speicher mit zweimal 1.000 Megawatt – sei außerdem angedacht. Vielleicht am Leag-Standort Jänschwalde, nördlich von Cottbus. Das dortige Kohlekraftwerk Ende 2028 entgültig vom Netz. Das Thema Bau, soviel wird deutlich, beschäftigt Adi Roesch also auch beim neuen Arbeitgeber. Wenn zunächst vielleicht auch weniger, als vom Noch-Kohlervertromer Leag ursprünglich gedacht.
Wasserstoffkraftwerk muss zurückgestellt werden
Ein Wasserstoffkraftwerk, das ebenfalls am Firmen-Standort Boxberg entstehen soll, müsse man zurückstellen, wie Unternehmenssprecher Thoralf Schirmer sagte. Denn dafür fehlen die gesetzlichen Rahmenbedingungen. Gemeint ist damit unter anderem das Kraftwerkssicherheitsgesetz der Bundesregierung. „Darauf warten wir seit zwei Jahren; das ist unser Dilemma“, so Adi Roesch am Freitag. Anders als Brandenburgs Noch-Wirtschaftsminister Professor Jörg Steinbach bei der diesjährigen Barbarafeier des Unternehmens am Abend zuvor glaubt Roesch nicht daran, dass dieses Gesetz als Grundlage für wesentliche Transformationsprojekte nach dem Aus der Ampelregierung im Bund noch vor den Neuwahlen kommt. Er rechnet mit einem Jahr Verzögerung.
Der Hintergrund: Auf Basis des Gesetzes will die Bundesregierung unter anderem insgesamt 12,5 Gigawatt an Kraftwerkskapazität ausschreiben und fördern. Konkret geht es um wasserstofffähige Gaskraftwerke, die Strom liefern sollen, wenn Sonne und Wind das nicht tun. Für das Vorhaben, über das auch Stromspeicher geschaffen werden sollen, will der Bund Milliardenbeträge bereitstellen.
Doch unabhängig davon, ob das Gesetz zügig oder zögerlich verabschiedete wird, bleibt es bei dessen aktueller Fassung, wird die Leag davon zunächst nicht oder kaum profitieren. Denn die ersten Gaskraftwerke sollen vor allem in Süddeutschland und Nordrhein-Westfalen entstehen. Sehr zum Ärger auch der Leag-Betriebsräte. Gerade für den Standort Jänschwalde sei eine Perspektive nötig. Laut Uwe Teubner, einer der Vorsitzenden des Gesamtbetriebsrates bei der Leag, sei das Gefühl der Ungewissheit bei den Mitarbeitern groß.
Wie viele Mitarbeiter kann das Unternehmen in die neue Zeit mitnehmen?
Immerhin gebe es jetzt nach einem Jahr Verhandlungen zwischen dem Arbeitergeber und Arbeitnehmervertretern bei der Leag nun eine Rahmenvereinbarung als eine Art Sozialplan, der den gesamten Kohleausstieg regele, wie Toralf Smith, Betriebsratsvorsitzender in der Sparte Kraftwerke ergänzte. „Aber da geht es auch um den Abbau von 6.500 Arbeitsplätzen im Altgeschäft“, schränkte Smith ein. Und forderte eben der Sozialverträglichkeit dafür auch Generationengerechtigkeit. Es müssen neue Jobs für jüngere Kollegen entstehen. Aktuell sind noch um die 7.000 Menschen bei der Leag beschäftigt. Wie viele das Unternehmen in die neue Zeit mitnehmen kann, lässt Adi Rosch derzeit offen. „Da eine Zahl zu nennen, das wäre Spekulation“, so der Vorstandsvorsitzende.
„Wir schaffen Platz für Neues“ war Motto der Kühlturmsprengung kurz vor dem zweiten Advent. Doch die große Euphorie scheint ein wenig verflogen. Bis vor zwei Jahren herrschte bei der Leag mit Hauptsitz in Cottbus echte Aufbruchstimmung. Neue, flexible, kohlefreie Kraftwerke mit einer installierten Leistung von rund drei bis 4,5 Gigawatt wurden angekündigt. Damit könne man etwa sieben Braunkohlekraftwerksblöcke ersetzen. Im südbrandenburgischen Schwarze Pumpe, Lippendorf bei Leipzig und Leipheim in Bayern sind nach wie vor drei wasserstofffähige Gaskraftwerke geplant. In Jänschwalde bei Cottbus ein innovatives Speicherkraftwerk auch auf Wasserstoffbasis. Und in Boxberg das genannte Wasserstoffkraftwerk.
Unsicherheiten – gesetzlich, rechtlich, politisch – bremsen
Doch die Unsicherheiten – gesetzlich, rechtlich, politisch – bremsen. Und so fiel die fast schon traditionelle Ankündigung neuer Projekte auf der Barbarafeier dieses Jahr dünn aus. Leag-Vorstandmitglied Philipp Nellessen betonte zudem, dass das Unternehmen sein Standbein „Braunkohle“ bis 2038 weiterbetreiben werde. In dem Jahr ist gesetzlich festgelegt wirklich Schluss mit dem fossilen Brennstoff. Nellessen erwähnte überdies ein schon bekanntes, geplantes Bergbauprojekt auf Island in Kooperation mit einem Partner. Fördern will man dort Puzzolan, ein Zusatzstoff für die Beton- und Zementindustrie. Gut laufe es im Bereich Schienenfahrzeuginstandsetzung bei der Leag-Tochter MCR. Der Bereich habe so viele – externe – Aufträge, dass der Leag dieses Jahr eine bisher für die Barbarafeier genutzte MCR-Halle nicht zurVerfügung stand. Dort sei vor lauter Arbeit kein Platz gewesen. Vorraussichtlich im Mai 2025 soll die schwimmende Photovoltaikanlage auf dem Cottbuser Ostsee in Betrieb gehen – derzeit die zweitgrößte ihrer Art in Europa, so Adi Roesch. Auch mehrere Leag-Solarparks sind im Entstehen, so auf einer Deponie in Jänschwalde.
Doch bei den für die Leag wichtigen Säulen Wasserstoff und Gaskraftwerke, auch als Brücke in die kohlefreie Zukunft, bleibt zunächst die Ungewissheit. Das hat auch damit zu tun, dass es bislang kein Unternehmen gibt, welches das für die Lausitz geplante Wasserstoffleitungsnetz bauen wird. „Es ist also sehr unsicher, dass uns Wasserstoff überhaupt zur Verfügung steht“, so Roesch.