Von Ulf Mallek
Radebeul. Wer alt genug ist, der erinnert sich vielleicht noch an Kneipen in der DDR mit ganz besonderen Biergläsern. Die konnte man aus Versehen mit dem Ellbogen vom Tisch stoßen, sie zersplitterten nicht. Sie bestanden aus superfestem Glas, hergestellt von 1980 bis 1990 in Kamenz. Genauer: im VEB Sachsenglas Schwepnitz. „Eher gab es ein Loch im Fußboden, als dass das Glas kaputtging“, sagt Michael Heidan. Offenbar war die Produktion den neuen Eigentümern nach der Wende zu teuer, denn sie wurde schnell wieder eingestellt. Zudem war der Markt gesättigt und die Leute wollten „Westprodukte“ kaufen.
Heidan ist gebürtiger Radebeuler. Obwohl man es ihm gar nicht so ansieht, ist er in dem Alter, in der DDR schon Bier getrunken zu haben. Und er erinnert sich eines Tages an die hohe Qualität dieser Wundergläser. Dieser Tag kam, als seine Frau einen Onlineshop mit Glasprodukten eröffnen wollte. Das war etwa 2017. Davor lebte er mit seiner Familie in China und Stuttgart, um Autoschiebedächer für den gehobenen Weltmarkt zu produzieren.
Der heute 58-jährige Heidan ist studierter Maschinenbauingenieur, und sein bisheriges berufliches Leben lief ab in der eng getakteten Welt der Automobilzulieferindustrie. Seine Schiebedächer erreichten ein Milliarden-Jahresumsatz. Doch der Gedanke des unkaputtbaren Glases ließ ihn nicht los. Joghurtbecher aus Glas sind doch viel ästhetischer und nachhaltiger als aus Plastik, welche die Umwelt zerstören. Und tatsächlich, der Forscherdrang in Sachen Glas nahm in seinem Denken eine solche Stärke an, dass er seinen Autoschiebedach-Job hinschmiss und noch einmal ganz von vorn anfing. Jetzt, so besprach sich Heidan mit seiner Frau, haben wir die Chance, etwas ganz Großes zu schaffen. Wir können den gesamten Weltmarkt für Glas revolutionieren, so etwas wie die Firma Apple in der Glasindustrie werden. Er sagte zu ihr, er sehe es schon vor Augen, das Einhorn.
Auf der Suche nach dem Einhorn
Solch ein Einhorn (Unicorn) ist etwas Seltenes unter den vielen Tausend Start-up-Unternehmen in Deutschland. Für diesen Titel ist eine Bewertung von mindestens einer Milliarde Dollar nötig. In Deutschland soll es angeblich 36 Unicorns geben, im Vorjahr kamen gerade mal drei dazu. Das Übersetzungstool Deepl ist eins davon. Die Solarfirma Enpal soll auch ein Unicorn sein. Recht bekannt sind Flixbus und Trade Republic, eine Bank-App.
Michael Heidan suchte und fand Verbündete, sehr kompetente sogar. Über das Glasmuseum Weißwasser und einen ehemaligen Glasexperten aus Schwepnitz geriet er an die Bergakademie Freiberg. Die Wissenschaftler dort sagten ihm: „Wir haben noch etwas viel Besseres.“ Sie behaupteten, wofür heute 24 Stunden Produktionszeit gebraucht würde, das würden sie in einer halben Stunde schaffen. Und das Glas ist dazu noch extrem fest. Das klingt nach Revolution. Und Revolutionen sind auf dem sehr konservativen Glasmarkt eher selten. „Mir haben die Leute aus den Glasfirmen oft erklärt, sie wollen gar kein superfestes Glas“, sagt Heidan. Denn dann ginge es ja nicht wieder kaputt und sie verkaufen weniger.
Die Freiberger Wissenschaftler stellten eine Versuchsreihe zusammen, um ihre Thesen zu beweisen. Derzeit wird chemisch verfestigtes Glas, weil die Herstellung so teuer ist, nur bei Premiumprodukten – wie beispielsweise Displayglas für Smartphones – verwendet. Eine Wasserflasche aus diesem festen Glas wäre aber tatsächlich eine Revolution. Die Flasche wäre dünner, es müsste weniger Energie dafür aufgewendet werden, die Herstellung geht schneller, sie würde über 50 Prozent leichter werden und ihrem massenhaften Einsatz stünde nichts mehr im Wege. In einem Test haben die Freiberger Wissenschaftler das Gewicht einer normalen 0,7l-Wasserflasche von 620 Gramm auf 234 Gramm verringert. Heidan: „Wir stehen vor einer Sprunginnovation. Unsere Technologie hat das Potenzial dafür.“ So könnten die neuen Gläser des Radebeuler Unternehmers fast komplett Plastik aus dem Lebensmitteleinzelhandel verdrängen.
Viel Geld und Zeit investiert
Doch erst einmal sicherten Heidan und seine Mitstreiter von der Uni ihre neuen Technologien durch Patente ab. Sie wollten schrittweise vorgehen, nicht alles auf eine Karte setzen. Sie fanden schon mal einen ersten Kunden, die Firma Heinz-Glas aus Kleintettau bei Coburg (Bayern). Sie stellen Gläser für die Kosmetikindustrie her. Heidan entwickelte mit seinen Leuten eine Anlage für diese Firma und ließ sie in Coswig bei der Firma Glamaco (ehemals VEB Glasmaschinenbau Coswig) herstellen.
Heidan gründete mit einem Freund von ihm, Martin Herrmann, dem Inhaber einer Privat Equity Gesellschaft aus Frankfurt, die Firma 2MH Glas, die eine 100-prozentige Tochter von ReViSalt war und im Juli in die ReViSalt GmbH verschmolzen wurde. „Wir haben Geld und Zeit hineingesteckt. Ich habe drei Jahre ohne Einkommen gearbeitet“, sagt Heidan. Parallel dazu entwickelte die Freiberger Truppe ein neues Regenerationsmaterial, damit das Salz, was zum Verfestigen des Glases bei 400 Grad Hitze benötigt wird, viel länger benutzt werden kann. Dazu wurde die Firma Revisalt gegründet. Die fünf Gründer halten noch 80 Prozent der Anteile, die restlichen 20 Prozent geben sie dem Technologiegründerfonds Sachsen, der sich mit einer Million Euro an der Firma beteiligt hatte. Zudem erhielt Revisalt eine weitere Million Euro Kredit von der Hausbank, der nur zu 55 Prozent zurückgezahlt werden muss. Der Rest wird von der Sächsischen Aufbaubank gefördert.
Revisalt hat im Laufe der Zeit mehrere Preise für ihre Technologie gewonnen, so auch den zweiten Platz in der Kategorie Start-up beim sächsischen Unternehmer des Jahres 2024. Noch im Frühsommer lief in der Freiberger Firma eine kleine Testanlage zur schnellen Verfestigung von Glas. Im August ist eine größere installiert worden, mit der bis zu 1,1m große Gläser verfestigt werden können. Eine neue Anlage zur Produktion des Regenerationsmaterials wurde eben in Betrieb genommen, mit der bis zu 20 Tonnen des neuen Mittels im Jahr hergestellt werden können. „Dafür sehen wir einen großen Markt“, sagt Heidan.
Das Geschäftsmodell von Revisalt mit momentan acht Mitarbeitern und einer Firmenbewertung (2023) von fünf Millionen Euro steht auf drei Säulen: Lizenzierung des Verfahrens für das superfeste Glas, was viel schneller, energieärmer und billiger hergestellt werden kann, und die Produktion und der Vertrieb von Regenerationsmaterial für Salzbäder in der Glashärtung sowie drittens auf Forschung & Entwicklung, Tests, Analysen und Beratung.
Wenn man durch die Hallen der Firma im Freiberger Gewerbegebiet läuft, so füllen sie sich mehr und mehr oder sind noch untervermietet. Wie soll hier, so Heidans Traum, ein Unternehmen mit einer Milliardenbewertung entstehen? Der Glasmarkt hat weltweit ein Volumen von 110 Milliarden USD pro Jahr. Die Hälfte der Produktion kommt aus China, 27 Prozent aus Europa und 15 Prozent aus Nordamerika.
Um diesen Traum zu erfüllen, arbeitet Revisalt an strategischen Partnerschaften, um mit starken Partnern aus dem Anlagenbau die Voraussetzungen zu schaffen, diese neuen Technologien im großen Maßstab in die Märkte zu überführen.
Heidan, der mit seinen Autoschiebedächern ja schon mal sehr erfolgreich war, glaubt fest an den Erfolg. „Wir werden es schaffen, wir werden den gesamten Glasmarkt umkrempeln.“ Und ganz sicher erleben die superfesten Biergläser aus DDR-Zeiten dann wieder ihren zweiten Frühling.