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„Wir zählen keine Köpfe“ – Unternehmen verteidigt umstrittene Stromtrasse bei Dresden

Mit dem Ausbau der Chipindustrie steigt der Strombedarf im Dresdner Norden. Eine neue 380-kV-Leitung mit Umspannwerk ist geplant – das sorgt im Umland für Unruhe. Zwei Verantwortliche von 50Hertz stellen sich im Interview den Fragen.

Lesedauer: 5 Minuten

Sven Geisler

Radeburg. Die Unsicherheit im Dresdner Umland ist groß: Wo entlang soll die neue 380kV-Stromtrasse von Streumen bis Schmölln führen? Wie sehr werden Mensch und Natur von dieser Elbe-Oberlausitz-Leitung betroffen sein? Am Donnerstag, 23. Oktober, werden Vertreter des beauftragten Unternehmens 50Hertz Transmission GmbH dazu im Stadtrat von Radeburg Stellung nehmen.

Im Interview beantworten Fachprojektleiterin Elke Brennenstuhl und Lisa-Marie Wollny als Verantwortliche für die Öffentlichkeitsbeteiligung die brennendsten Fragen.

Warum ist diese 380kV-Leitung von Schmölln in der Oberlausitz bis Großenhain nötig?

Brennenstuhl: Das Vorhaben ist im Netzentwicklungsplan Strom von 2023 ausgewiesen, für den der Bedarf ermittelt wurde. Die SachsenNetze, die das 110kV-Netz betreiben, haben unter anderem durch die Ansiedlung der Chipfabrik ESMC einen deutlichen Zuwachs des Leistungsbedarfs im Dresdner Norden prognostiziert. Dafür ist zwingend die Anbindung an das überregionale 380kV-Übertragungsnetz erforderlich.

Kosten im mittleren dreistelligen Millionenbereich

Was ist konkret geplant?

Brennenstuhl: Das Projekt besteht aus drei Leitungsabschnitten und vier Umspannwerken, wovon Streumen im Westen und Schmölln im Osten bereits vorhanden und an die 380kV-Spannungsebene angeschlossen sind. Aufgabe der Elbe-Oberlausitz-Leitung ist es, die Lücke dazwischen zu schließen. Dafür soll am Altwilschdorfer Weg in Klotzsche ein neues Umspannwerk entstehen, um den Dresdner Norden anzuschließen. Im Bereich Großenhain wird ein Standort gesucht, aber dort ist der Bedarf noch in Prüfung.

Was soll das Projekt kosten und wie lang wird die Leitung?

Wollny: Es geht um eine Investition im mittleren dreistelligen Millionenbereich.

Brennenstuhl: Das lässt sich erst genau sagen, wenn die Trassenführung feststeht. Im Netzentwicklungsplan ist die Gesamtlänge mit 92 Kilometern ausgewiesen.

Die Kräne von der Baustelle für die neue Chipfabrik vom ESMC im Dresdner Norden sind weithin zu sehen – hier vom Altwilschdorfer Weg an der Grenze zu Radeburg, wo ein Umspannwerk entstehen soll.
Die Kräne von der Baustelle für die neue Chipfabrik vom ESMC im Dresdner Norden sind weithin zu sehen – hier vom Altwilschdorfer Weg an der Grenze zu Radeburg, wo ein Umspannwerk entstehen soll.
Quelle: Norbert Millauer

Fertigstellung in zwei Phasen geplant

Wann soll das Gesamtprojekt in Betrieb genommen werden?

Brennenstuhl: Das ist in zwei Schritten geplant: zwischen Schmölln und Altwilschdorf bis 2030 und von Streumen über Großenhain nach Altwillschdorf ein bis zwei Jahre später. Für den östlichen Teil ist bereits der konkrete Verlauf von zwei Trassen in der Prüfung. Im mittleren Abschnitt geht es derzeit in der Raumverträglichkeitsprüfung zunächst um die Abwägung von vier jeweils einen Kilometer breiten Korridoren.

In diesem Abschnitt sind unter anderem Radeburg und Moritzburg betroffen. Wie ist der Planungsstand?

Brennenstuhl: Wir haben im Juni die Unterlagen für die Raumverträglichkeitsprüfung bei der Landesdirektion eingereicht. Davor hatten wir vier Trassenkorridore entsprechend der gesetzlichen Vorgaben bewertet.

Wollny: Wir haben also nicht nur einen oder zwei Korridore eingereicht, sondern alle Unterlagen für die vier potenziellen Varianten. Es gab von unserer Seite keine Vorentscheidung. Wir müssen aber anhand klarer Kriterien eine Abwägung durchführen. Letztlich entscheidet die Landesdirektion.

Bei vielen Bürgerinnen und Bürgern kam es so an, dass die Trasse A, die wesentlich entlang der Autobahn 13 führen würde, bereits ausgeschlossen worden ist.

Brennenstuhl: Das ist nur bedingt richtig. Wir sammeln alle verfügbaren Daten, und bewerten diese, inwieweit sie mit einem Freileitungsvorhaben in Konflikt stehen. Dafür gibt es Kriterien, die auf gesetzlichen Vorgaben basieren. Nach denen können wir Variante A nicht empfehlen, weil sie unserer Einschätzung nach voraussichtlich nicht zulassungsfähig ist. Sie ist aber nicht in dem Sinne ausgeschlossen, dass sie nicht mehr Gegenstand der Raumverträglichkeitsprüfung ist, die die Landesdirektion nun durchzuführen hat.

Es dürfen keine Gebäude überspannt werden, in denen sich Menschen dauerhaft aufhalten. – Elke Brennenstuhl, Fachprojektleiterin Genehmigungen bei 50Hertz

Keine 380-kV-Trasse über dauerhaft bewohnten Gebäuden

Welche Rolle spielt dabei der Faktor Mensch, also: Wissen Sie, wie viele Menschen von der jeweiligen Trasse betroffen sind?

Brennenstuhl: Wir zählen keine Köpfe. Aber natürlich ist die menschliche Gesundheit ein wesentliches Schutzgut im Verfahren. Für neu trassierte 380kV-Leitungen gilt ein unmissverständliches Verbot: Es dürfen keine Gebäude überspannt werden, in denen sich Menschen dauerhaft aufhalten. Wenn klar ist, dass man das mit der Trasse nicht umgehen kann, wäre diese unzulässig. Das ist ein K.-o.-Kriterium.

Wollny: Grundsätzlich müssen wir auch bei einer Annäherung die gesetzlichen Grenzwerte einhalten. Demzufolge darf eine Leitung nie so platziert werden, dass sie gesundheitliche Folgen für Menschen haben könnte. Das wird zum Beispiel durch die Höhe der Masten gewährleistet.

Das Überspannungsverbot greift konkret für die Variante entlang der A13?

Brennenstuhl: Ja. Dieses Thema hat dieser Korridor im Vergleich mit den anderen drei Varianten exklusiv. Den Konflikt gibt es für den Campingplatz am Radeburger Stausee, und er ist auch für die Gewerbeflächen nach den Bebauungsplänen Edelhof Entsorgung GmbH an der Mühlbacher Straße und für das Logistikzentrum südlich der B98 nicht ausgeschlossen.

Zehn statt vier oder fünf bedrohte Vogelarten

Michaela Ritter, Bürgermeisterin von Radeburg, hat angeregt, die Trasse der vorhandenen 110kV-Leitung zu nutzen. Könnte das eine Alternative sein?

Wollny: Es gibt unterschiedliche Regeln. Mit einer 110kV-Leitung dürfen Gebäude überspannt werden, die für eine 380kV-Leitung ausgeschlossen sind.

Das ist keine betonierte Fläche von 20 Hektar, sondern nur etwa 15 Prozent sind versiegelt. – Lisa-Marie Wollny, Öffentlichkeitsbeteiligung bei 50Hertz

Brennenstuhl: Der Korridor A wird von uns aber nicht nur wegen dieser Problematik deutlich nachteiliger bewertet als die anderen. Nach unserer Voreinschätzung werden bei allen Varianten Vogelschutzgebiete berührt, aber in der Alternative A wird eins mehr potenziell erheblich beeinträchtigt. Aus Sicht des Artenschutzes schneidet sie ebenfalls wesentlich schlechter ab: Statt vier oder fünf wären zehn Vogelarten bedroht.

Trotzdem: Die von 50Hertz mitfavorisierte Variante B hat die kürzeste Trassenlänge, weniger Winkelpunkte und Kreuzungen: War für die Bewertung letztlich doch der Kostenfaktor ausschlaggebend?

Brennenstuhl: Nein. Die energiewirtschaftlichen Belange haben mitnichten Vorrang, vielmehr gehen die unterschiedlichen Belange grundsätzlich gleichberechtigt in die Bewertung ein. Aber es gibt eben gesetzliche Vorgaben in der Gewichtung einzelner Kriterien.

Neue Umspannwerke nur minimal versiegelt

Sowohl Radeburg als auch Moritzburg beklagen die Versiegelung weiterer Flächen für das Umspannwerk am Altwilschdorfer Weg. Wieso werden dafür keine bereits versiegelten Flächen wie an der Volkersdorfer Straße genutzt?

Brennenstuhl: Es sind andere Standorte untersucht worden, aber dieser hat sich als vorzugswürdig erwiesen, unter anderem wegen der Nähe zu den anzubindenden Industriekunden. Hier waren außerdem die Vogelschutzgebiete und der Flughafen zu betrachten. Das ist aber nicht Gegenstand unserer Raumverträglichkeitsprüfung.

Bei der Variante A für die neue Stromtrasse wäre laut Unternehmen 50Hertz ein Vogelschutzgebiet mehr betroffen als bei den anderen. Am Altwilschdorfer Weg in Klotzsche, wo ein Umspannwerk entstehen soll, weist ein Schild auf die Schutzfläche für Bodenbrüter hin.
Bei der Variante A für die neue Stromtrasse wäre laut Unternehmen 50Hertz ein Vogelschutzgebiet mehr betroffen als bei den anderen. Am Altwilschdorfer Weg in Klotzsche, wo ein Umspannwerk entstehen soll, weist ein Schild auf die Schutzfläche für Bodenbrüter hin.
Quelle: Norbert Millauer

Wollny: Bei unseren Umspannwerken wird nur ein geringer Teil versiegelt. Das ist keine betonierte Fläche von 20 Hektar, sondern nur etwa 15 Prozent sind versiegelt. Zwischen den Anlagen ist es grün.

Wie wahrscheinlich ist es, dass auch bei Großenhain ein neues Umspannwerk gebaut wird?

Wollny: Es gibt den politischen Willen des Freistaats, des Landkreises Meißen und der Kommune, eine industrielle Entwicklung zu ermöglichen. Aber ob es dieses Umspannwerk geben muss, hängt von der tatsächlichen Ansiedlung und dem Bedarf ab.

Welche Chance haben Bürger und Kommunen, mit ihren Sorgen zur Oberlausitz-Elbe-Leitung noch berücksichtigt zu werden?

Brennenstuhl: Ende des Monats beginnt die formelle Beteiligung der Öffentlichkeit durch die Landesdirektion Sachsen, sodass Bürgerinnen und Bürger wie Kommunen und Behörden Stellung nehmen können. Es liegt dann an der Landesdirektion, diese zu bewerten und möglicherweise Aspekte herauszufiltern, die bislang nicht oder unzureichend betrachtet worden sind.

Das Gespräch führte Sven Geisler.

SZ

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