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Wo es um Neues geht, müssen Fehler erlaubt sein

Thomas Edig , Geschäftsführer für Personal und Organisation bei VW Sachsen, über Führung und Motivation gerade auch in schwierigen Zeiten.

Lesedauer: 4 Minuten

Ein Mann schaut in die Kamera.
Thomas Edig ist seit 2021 Geschäftsführer Personal und Organisation der Volkswagen Sachsen GmbH. Der Diplom-Betriebswirt lehrt außerdem als Honorarprofessor an der DHBW in Stuttgart und Heilbronn. Foto: VW Sachsen

Von Nora Miethke

Volkswagen Sachsen hat exemplarisch vorgemacht, wie man eine Belegschaft fit macht für die Elektromobilität. Nun stottert der Motor. Wie ist die Stimmung in der Belegschaft in Zwickau?
Die Stimmungslage ist angespannt. Die Belegschaft wartet auf positive Signale. In unserer Belegschaft ist ganz viel Bewusstsein und Kompetenz da zum Thema Elektromobilität. Aktuell kommen natürlich kritische Nachfragen und Kommentare. Dennoch gibt es Verständnis dafür, dass die Transformation Phasen hat, wo es auch Rückschläge gibt.

In Erwartung eines anhaltenden E-Auto-Booms hat VW Sachsen mehrere Tausend Mitarbeiter zeitlich befristet eingestellt. Statt der erhofften Festanstellung müssen viele wieder gehen. Wie machen Sie da Lust darauf, trotzdem jeden Tag noch E-Autos zu bauen?
Da hilft nur, in der Kommunikation mit allen Mitarbeitenden kristallklar und transparent die Risiken dieser Transformation zu schildern. Das haben wir gemacht, als im vergangenen Herbst klar wurde, dass wir aus der ersten Nachtschicht herausgehen müssen. In Absprache mit Gewerkschaften und Betriebsräten haben wir in der Vergangenheit mehr als 2000 Kollegen befristet eingestellt. Wir hatten bei den Vertragsgesprächen betont: Das ist kein unbefristeter Vertrag. Wir haben auf die Risiken hingewiesen. Es ist dennoch wichtig, dass wir uns um jeden Einzelnen der Kollegen kümmern, die uns jetzt leider verlassen müssen.

Wie tun Sie das?
Wir haben die Agentur für Arbeit zu uns ins Werk eingeladen, zusammen mit Unternehmen aus der Region, die Mitarbeiter einstellen – und da gibt es etliche. Damit sie präsentieren konnten, welche Chancen es bei ihnen gibt für Mitarbeiter, die bei VW in den letzten Jahren eine sehr gute Ausbildung erhalten haben. Außerdem werden wir diese Mitarbeiter zuerst ansprechen, wenn die Zeiten wieder besser werden.

Haben Sie noch andere Formate für die Kommunikation mit Ihren Beschäftigten genutzt?
Natürlich haben wir uns darüber Gedanken gemacht. Wir hatten Ende letzten Jahres Phasen, da hätten wir 400 Menschen in Zwickau nicht mit Arbeit ausstatten können. Wir haben den Kontakt zu anderen VW-Werken gehalten, um Beschäftigungsalternativen zu finden. So konnten mehr als 200 Kollegen im Motorenwerk in Chemnitz eingesetzt werden. Weitere 200 Kollegen konnten wir in Wolfsburg und anderen Werken der VW AG einsetzen. Das war gut und die Kollegen konnten sich auch persönlich weiterentwickeln.

Sie sind also sehr zufrieden mit der Bereitschaft ihrer Mitarbeitenden, sich zu verändern?
Ja, wir sind zufrieden. Ausbezahlt hat sich aber auch die gute Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat. Gemeinsam konnten wir vermeiden, Menschen ohne Arbeit nach Hause schicken zu müssen. Ich kann nur sagen, die Wolfsburger waren sehr zufrieden mit den Sachsen. Und die Chemnitzer sind es mit den Zwickauern sowieso. Wir werden diesen Weg weitergehen. 50 Kollegen haben sich gemeldet, um zu Audi nach Neckarsulm zu gehen. Und wir sind mit Porsche in Leipzig im Gespräch über 100 Beschäftigte. Die Kompetenz aus Zwickau ist im Konzern gefragt.

Was sind Ihre wichtigsten Empfehlungen, worauf es bei der Personalführung in der Transformationsphase ankommt?
Das ganze Thema transformationale Führung ist nicht neu, sondern eine uralte Geschichte. „Wenn Ihr Handeln andere inspiriert, mehr zu träumen, mehr zu lernen, mehr zu tun und mehr zu werden, sind Sie eine Führungspersönlichkeit.“ Dieser Satz von John Quincy Adams, dem dritten Präsidenten der USA Mitte des 19. Jahrhunderts, beschreibt für mich die Transformation in Zwickau sehr gut. Was ist der Unterschied zwischen Führung in normalen Zeiten und Leadership in der Transformation? Manager arbeiten mit Zahlen, Daten und Fakten. Die ingenieurgetriebene Automobilindustrie funktionierte über Jahrzehnte wie folgt: Du planst, du checkst die Resultate, du machst ein gutes Controlling, du erarbeitest standardisierte Prozesse, du optimierst von Jahr zu Jahr und baust dir eine gute Organisation auf. Ein guter Manager kann all dies. Aber in einem rapiden Wandel, wie unsere Welt ihn erlebt, kommt es darauf an, die Mannschaft mitzunehmen. Das gelingt nur, wenn man mit den Menschen, mit denen man zusammenarbeitet, eine gemeinsame Perspektive auf die Zukunft hat und idealerweise mit ihnen in einem immer weniger planbaren Umfeld eine gemeinsame Vision entwickelt. Diese Form von Leadership brauchen wir jetzt.

Was bedeutet für Sie konkret Wertschätzung. Also die Frage: Wie halten Sie es mit Lob?
In ingenieur- und technikgetriebenen Unternehmen ist es bis heute so, dass der Satz gilt: „Nicht geschimpft ist genug gelobt“. Das reicht nicht mehr. Es ist immens wichtig, dass man mit der Mannschaft im permanenten Dialog bleibt. Dass man Dinge, die gelingen lobt, sich bei dem Mitarbeiter ganz ausdrücklich bedankt, der die Extra-Meile gegangen ist und etwas richtig Gutes erreicht hat. Genauso gehört es dazu, dass man konstruktive Kritik übt, wenn die Dinge nicht so laufen wie sie sollten. Hier kommt es auf die Fehlerkultur an. Null-Fehler-Toleranz und 150-Prozent-Lösungen funktionieren nicht mehr.

Wie muss sich die Fehlerkultur in Unternehmen ändern?
Innovationen gelingen nur dort, wo junge Ingenieure und Ingenieurinnen sich und ihre Ideen bewusst ausprobieren dürfen, Fehler machen und scheitern dürfen. Wo Führungskräfte das nicht nur tolerieren, sondern fördern, wo nicht sofort Kritik geübt und getadelt wird, weil etwas in den Sand gesetzt wurde. Dann werden die Mitarbeiter auch beim nächsten Mal wieder mit einem guten Vorschlag kommen. Überall dort, wo es um Neues geht, müssen Fehler ausdrücklich in der Organisation erlaubt sein.

Wie haben Sie konkret bei VW Sachsen die Fehlerkultur verändert?
Unsere Auszubildenden und dualen Studenten beginnen schon in der Ausbildung mit Projekten, wo sie sich ausprobieren können. Im Werk Zwickau haben wir 2022 eine Workshop-Reihe gestartet, von der Montage bis zum Karosseriebau, wo intensiv an konkreten Beispielen diskutiert wurde, was Ausdruck alter Führungskultur war und was sich ändern muss. Da muss man am Ball bleiben und das auch in größeren Runden besprechen. Ich bin seit 2021 bei VW Sachsen und muss sagen, da hat sich sehr viel geändert im Umgang mit Hierarchie.

Können Sie einen Punkt aufzeigen, an dem das deutlich wird?
Als ich 2021 zu VW Sachsen kam, war es normal, dass sich die Geschäftsführung vor Mitarbeiterversammlungen „die wesentlichen Fragen aus der Mitarbeiterschaft zuarbeiten ließ“, wie es so schön hieß, um vorbereitet zu sein. Das war für mich befremdlich. Ich wollte keine vorbereiteten Fragen und bat meine Kollegen, ohne Vorabbefragung in solche Versammlungen zu gehen. Bei Fragen, die wir nicht beantworten konnten, gaben wir das zu und versprachen, die Antwort innerhalb einer Woche nachzureichen.

Und wie gingen die Beschäftigten von VW Sachsen mit dieser plötzlichen Offenheit um?
Die Mitarbeiter konnten anfangs damit gar nicht umgehen. Es kamen wenige Fragen. Aber wir haben dieses Format alle drei Monate wiederholt und nach einem Jahr konnten wir uns vor Fragen nicht retten. Die Beschäftigten mussten erst lernen, dass die Chefs das wirklich ernst meinen. Da wird keiner beschimpft wegen einer Frage oder bekommt zu hören: „Blöde Frage, weiter.“ Diese Unternehmenskultur muss man vorleben und einen langen Atem beweisen.

Welche Werte bestimmen Ihren inneren Kompass, an dem Sie sich in Ihrem Führungsstil auch persönlich orientieren?
Authentizität, Ehrlichkeit, Wertschätzung, Berechenbarkeit. Das sind die Attribute, die mich an jedem Arbeitstag begleiten.

Wie erinnern Sie sich im Alltagsstress der Werte, die Ihren inneren Kompass bestimmen?
Durch ausgeprägte Selbstreflexion. Ich beende meinen Arbeitstag damit, mich zu hinterfragen, wo ich mehr Haltung hätte zeigen müssen. Und ich beginne den neuen Tag mit der Frage, was sind die drei größten Sachthemen, die heute bewältigt werden müssen und welche Antworten ich dazu brauche. Damit gehe ich dann strukturiert in den Tag.

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