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Wo Männer süße Sachen backen

Im Görlitzer Café Flair entstehen seit Langem sehr beliebte Torten. Alles begann in einer Not, aus der das Team eine Tugend machte.

Lesedauer: 2 Minuten

Manuel Ott streicht den Rührteig ein letztes Mal glatt, bevor er Stachelbeere um Stachelbeere darauf setzt, süßen Eischnee darübergießt und die Kuchenform in den Ofen schiebt. Die Schichten für den Bienenstich haben seine Kollegen schon am Vortag gebacken, ebenso die Böden für die Schokotorte, die Anoosh Masondi, der Azubi, noch mit Sahnetupfern verziert und aus der Umrandung löst. Frisch und sahnig werden die Torten später in der Glasvitrine stehen und Begehrlichkeiten wecken.

„Unsere Torten und Kuchen sind sehr beliebt bei unseren Gästen“, sagt Enrico Walkstein, der das Café Flair in der Görlitzer Brüderstraße seit 1996 betreibt. Besonders Senioren schätzten das klassische Angebot Kaffee und Kuchen, Torte, Eisbecher. Mehrere Stammtische treffen sich regelmäßig im Café Flair, Runden ehemaliger Arbeitskollegen, Freundeskreise. Andere lassen gern Torten für ihre Feiern auf Bestellung anfertigen.

In den ersten Jahren nach der Eröffnung ließ Enrico Walkstein sein Café noch von einem regionalen Bäcker mit Kuchen beliefern. „Aber manchmal kam es an Wochenenden oder Feiertagen zu Engpässen.“ Je beliebter die Görlitzer Altstadt als Ausflugsziel wurde, desto mehr Kuchen war gefragt, sodass an manchen Sonntagnachmittagen kein Stück mehr übrig war. Also sagte sich der Café-Betreiber: „Warum backen wir nicht einfach selbst? Sobald Kuchen knapp wird, schieben wir morgens schnell ein Blech in den Ofen und der Nachmittag ist gesichert.“ Also buchte er für sich und seine Mitarbeiter einen Kurs für Bäcker und Konditoren bei der Dresdener Firma, von der er auch alle Zutaten bezieht. Nach und nach probierte er mit seinen Kollegen immer mehr Rezepte, Techniken und Zutaten aus.

Seit fast 15 Jahren stellt das Team im Café Flair nun alle Kuchen und Torten selber her, vom Stachelbeerbaiserkuchen über Mangolassitorte und Florentiner bis zum schlesischen Mohnkuchen und zur sächsischen Eierschecke. „Unser Angebot wechselt fast täglich, aber die regionalen Rezepte müssen einfach sein, danach fragen die Leute“, sagt Enrico Walkstein. Das Besondere an seiner kleinen Manufaktur: Vier Männer bilden sein festes Team. Keine einzige Frau ist dabei, was aber Zufall ist, und keiner, der von Beruf Konditor oder Bäcker wäre. 

„Wir alle sind gelernte Restaurantfachleute, bis auf unseren Azubi, der den Beruf gerade lernt.“ Anoosh Masondi arbeitet seit 2016 mit im Café, erst als Langzeitpraktikant, seit einem Jahr als Auszubildender mit Zeiten am Beruflichen Schulzentrum Christoph Lüders. Er stammt aus der afghanischen Provinz Parwan, zuletzt hat er in der Hauptstadt Kabul gelebt. 2015 musste er sein Heimatland verlassen, weil er sich wegen der dort herrschenden Gewalt seines Lebens nicht mehr sicher sein konnte. Als 17-Jähriger kam er ohne Verwandte nach Deutschland.

Enrico Walkstein fand ihn eher durch Zufall. „Wir hatten zunächst eine Praktikantin aus einer betreuten Jugendwohngruppe, die aber ihre Tätigkeit abbrach.“ Anoosh lebte, bis er 18 wurde, in der gleichen Wohngruppe. Als Ersatz für die verlorene Praktikantin empfahl ihn seine Betreuerin an Enrico Walkstein weiter. Der übernahm Anoosh nach dem Praktikumsjahr in die Ausbildung, suchte mit ihm eine Wohnung, zahlt ihm einen Deutschkurs an der Volkshochschule und ist froh, jemanden für sein Team gewonnen zu haben, auf den er sich verlassen kann. 

„Menschlich hat es sofort gepasst“, sagt der Café-Inhaber. „Und ich fühle mich hier wie in einer Familie“, sagt Anoosh Masondi, dessen Mutter und kleine Schwester heute in Pakistan leben. Ein paar kulturelle Unterschiede, auch Vorurteile hätten anfangs überbrückt werden müssen, sagt Enrico Walkstein, und auch das Verständnis für jemanden, der im Terror groß wurde, aber wenig darüber spricht, habe wachsen müssen. „Am Ende ist mir aber völlig egal, woher jemand kommt. Es zählt vor allem, wie gut man sich versteht und ob man auf kleinem Raum miteinander zurechtkommt.“

 

Von Ines Eifler

Foto: © Nikolai Schmidt

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