Seit einem Jahr hat die Deutsche Bahn das Sagen bei der Neubaustrecke von Dresden nach Prag – und gleich mal den bisherigen Fertigstellungstermin korrigiert. "Ich hoffe, dass er in den 2030er-Jahren ist, aber 2035 ist unwahrscheinlich", sagt Kay Müller, Projektleiter bei der DB Netz AG. Der Zeitpunkt war vom Freistaat für Testfahrten genannt worden. Doch in den letzten Jahren habe sich einiges geändert, sagt Müller, auch bei Umweltgesetzen und Grenzwerten für Lärm. Valide Zahlen gebe es ohnehin erst nach der Vorplanung – und auch bei den Kosten. Da sind bisher 1,3 Milliarden Euro für den deutschen Abschnitt avisiert.
Der Projektleiter hatte am Freitag Bürgermeister betroffener Kommunen und tags zuvor Bundes- und Landtagsabgeordnete über den Sachstand informiert. Und er wollte mit Darstellungen und Fehlinterpretationen aufräumen – wie dem Projektvideo von Sachsens Wirtschaftsministerium im Internet. "Der Film suggeriert der Öffentlichkeit: Morgen kommt der Bagger und übermorgen die Tunnelbohrmaschine", schimpft Müller. Dabei gebe es noch kein Planrecht, "wir wissen ja nicht einmal, wo genau die Strecke verlaufen soll".
Dennoch sei die Bahn dankbar für die Vorarbeit des Freistaats, sagt Müller, "aber der ist jetzt raus, wir sind zuständig". Ohne die von Sachsen beauftragte und finanzierte Machbarkeitsstudie wäre das Vorhaben nicht im vordringlichen Bedarf des Bundesverkehrswegeplans gelandet, ist er überzeugt. Nur was dort steht, hat auch realistische Chancen auf Umsetzung.
Die etwa 43 Kilometer lange zweigleisige Neubaustrecke zwischen Heidenau und Ústí nad Labem (Aussig) hat es geschafft. In einer ersten Version verlässt die Trasse die Bestandslinie bei Heidenau und führt durch mehrere Tunnel, der größte gut 26 Kilometer lang, bis Ústí. Die Route durch das Osterzgebirge soll das flutgefährdete Elbtal entlasten, Anwohner vom Lärm der täglich bis zu 240 Züge, 150 davon Güterzüge, befreien und die Fahrzeit Dresden-Prag von 135 auf 52 Minuten verkürzen – dank Geschwindigkeiten von 200 km/h im Personen- und 120 km/h im Güterverkehr.
Für Sachsens Verkehrsminister Martin Dulig (SPD) hat das Vorhaben "oberste Priorität", trotz des wenig beeindruckenden Nutzen-Kosten-Faktors von 1,3. Auch bei der Europäischen Union steht es laut Projektkoordinator Mathieu Grosch "ganz oben" – als Teil des Kernkorridors Orient/East-Med. Er verbindet Skandinavien über die Häfen an Nord- und Ostsee mit Schwarzem und Mittelmeer, auf 2 820 Kilometern elf Staaten. Noch bis 2020 kann die EU Planung und Studien hälftig mitfinanzieren.
Noch steht das Projekt am Anfang. Die Machbarkeitsstudie zeige nur eine mögliche Strecke, sagt der Projektchef. "Wir untersuchen und optimieren weitere Varianten – auch unter Berücksichtigung der Hinweise Dritter." So seien die in einem Gutachten monierte zu große Steigung für Güterzüge von zwölf auf gut neun Promille reduziert und Überholbahnhöfe für 740 Meter lange Güterzüge vor und nach den Tunnelportalen eingebaut worden. Nur so sei die Reisegeschwindigkeit zu garantieren.
Auf dem Tisch lägen nun fünf Varianten des Freistaats, je zwei von der Bahn und einer Bürgerinitiative sowie die eines Kartografen – in Summe zehn Routen. Allen Ideen im Untersuchungsraum zwischen Heidenau und Grenze sowie zwischen Dohma und Liebstadt seien zwei Dinge gleich: der Abzweig von der Bestandsstrecke in Heidenau und ein Tunnel von mindestens 25 Kilometern Länge mit teils 200 Metern Gebirgsüberdeckung. In der Version der Bürgerinitiative geht's gleich bei Heidenau für gut 30 Kilometer unter Tage. Der Meter Tunnel koste etwa 40 000 Euro, so Müller. Es gebe Unwägbarkeiten wie Standards, Sicherheitstechnik, Baupreise.
"Wir wollen bis Mai/Juni Klarheit, mit welchen drei, vier Varianten wir im Herbst in ein Raumordnungsverfahren gehen", sagt der Manager. So ein Verfahren prüft, ob das Vorhaben mit Raumordnung und Landesplanung übereinstimmt, auch nach ökonomischen, ökologischen, kulturellen und sozialen Aspekten. Es ist nicht rechtsverbindlich, aber Basis für nachfolgende Verfahren. Parallel müsse ein Planungsvertrag mit Tschechien abgeschlossen werden, sagt Müller. "Die erste Planungsstufe wollen wir 2025 rund haben, um sie dann in die Parlamente von Deutschland und Tschechien zu bringen. Wenn nur eins gegen die Fortführung stimmt, wäre die Sache vorbei." Nach positivem Votum stünde ein Staatsvertrag an. "Und erst wenn der unterschrieben ist, ist die Sache safe".
Und was dauert so lange? Müller hat ein Beispiel: "Nach der Raumordnung müssen zwei Jahre lang Tiere gezählt, Pflanzen und Böden erfasst, der Grundwasserspiegel beobachtet werden." Bis sich der Tunnelbohrer 40 Meter am Tag durch den Berg frisst, wird noch viel Zeit vergehen. Immerhin gibt es breite Zustimmung zum Projekt, und ein Fiasko wie beim Hauptstadtflughafen BER hält Müller für ausgeschlossen – dank Abstimmung mit Tschechiens Infrastrukturbetreiber SŽDC und Planungsbegleitung durch das Eisenbahnbundesamt.
Für die Landtagsabgeordnete Katja Meier (Grüne) ist es aber "noch nicht ausgemacht, dass der Neubau kommt", es gebe Kritik nicht nur vom europäischen Rechnungshof. Sie ist verwundert, dass der Bundestag noch einmal über das im Bundesverkehrswegeplan fixierte Vorhaben entscheiden soll: nach der Leistungsphase II, also frühestens in zwei Jahren. Dennoch sieht die Politikerin Fortschritte und lobt die "Transparenzoffensive der Deutschen Bahn". Es sei wichtig, die Politik und vor allem die Leute vor Ort einzubinden, sagt sie.
Doch auch die sind skeptisch. "Ich traue dem Frieden noch nicht", sagt Steffen Spittler nach der Präsentation von DB-Mann Müller. Der Dohmaer gehört zum Arbeitsvorstand der Bürgerinitiative "Basistunnel nach Prag". "Wir sind nicht gegen das Projekt, aber gegen eine Lärmverlagerung aus dem Elbtal in andere bewohnte Gebiete", sagt er. Deshalb habe die zehnköpfige Interessenvertretung von bis zu 10 000 Betroffenen zwei eigene Vorschläge zur Trassenführung gemacht, eine als Volltunnel. Spittler befürchtet, "dass die Kosten über der Frage der Lärmbelästigung stehen". Laut Bahn-Manager Müller soll die Trassenführung bis zum Jahresende fixiert sein.Von Michael Rothe
Von Michael Rothe
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