Von Georg Moeritz
Dresden. An einem seiner letzten Tage als Notar hat Oswald van de Loo noch einen Hausbesuch gemacht: Eine bettlägerige Dame in der Dresdner Innenstadt wollte im August ihr Testament machen. Solche Berufserfahrungen mit Menschen seien „emotional bereichernd“, so formuliert es der Jurist.
Van de Loo spricht kurz und zurückhaltend. Doch auf Nachfrage verrät der 69-Jährige, dass er gerne Kanu und Fahrrad fährt und gerade Italienisch lernt. Er wird künftig Zeit in seinem Ferienhaus in Italien verbringen können. Dienstlich hat er bisher auch auf Englisch und Französisch Dokumente beurkundet. Denn die Kanzlei Heckschen & Van de Loo in Dresden mit rund 60 Mitarbeitern gehört zu den großen – und wird von Kunden aus ganz Deutschland aufgesucht.
Außer Immobiliengeschäften zählt die Unternehmensnachfolge gerade zu den Schwerpunkten der Dresdner Notare. Auf ihrer Internetseite warnen sie, die Nachfolge sei „ein äußerst komplexer Vorgang, der einer langfristigen Planung bedarf“. Diesen Rat gaben sie auch sich selbst. Seit etwa fünf Jahren schauten sich van de Loo und sein gleichberechtigter Partner Heribert Heckschen nach geeigneten Kandidaten um und suchten Kontakt zu Kammer und Behörden. Denn mit 70 Jahren erreicht ein Notar die Altersgrenze. Van de Loo ist nun Notar i. R. Das R steht für Ruhestand und bedeutet, dass er wohl nur noch einmal pro Woche in die Kanzlei kommen wird – dann als Notarvertreter.
Sorge ums Personal
Der 41-jährige Pascal Salomon, seit fünf Jahren Notar in Riesa, wird neuer Partner von Heribert Heckschen. Der betont, dass sich sächsische Notare ihre Nachfolger gar nicht aussuchen können. Die Stelle wird amtlich ausgeschrieben, im Sächsischen Justizministerialblatt. Aber wenn es um eine Sozietät zweier Notare mit gemeinsamen Mitarbeitern geht, so betont es auch Salomon, „dann muss es funktional und persönlich passen“. In der Dresdner Kanzlei hat Salomon daher bereits mitgearbeitet und vor allem die Angestellten kennengelernt. Denn die Notare lassen erkennen, dass eine der größten Sorgen bei der Nachfolgeregelung die Sorge ums Personal ist: Gute Leute seien gesucht, und bei einem Chefwechsel könnten womöglich auch Fachkräfte über ihren Abschied nachdenken. „Wir haben deshalb sehr dicht informiert“, betont van de Loo. Heckschen formuliert den Anspruch, Mitarbeiter nicht von oben herab zu behandeln. Der Belegschaft sei ein gutes Miteinander wichtig – mit Sommerfest und Weihnachtsfeier, Betriebsausflügen und Laufteam. Häufig würden in der Gründerzeitvilla Geburtstage begangen.
Für van de Loo war es aber auch wichtig, dass sein Nachfolger wie er selbst einen Doktortitel und Interesse an Forschung und Veröffentlichungen mitbringt. Unter Freiberuflern sei der „Doktor“ weiterhin ein Ausweis der Kompetenz. Salomon hat seine Doktorarbeit über Gesellschaftsrecht geschrieben, über eine einst geplante Europa-GmbH. Das Wissen wird ihm in der Dresdner Kanzlei zugutekommen: Sie betreut häufig Unternehmen beim Wechsel der Rechtsform. Dann geht es auch um ausländische Firmierungen oder Holdingstrukturen.
Betriebe „nachfolgefähig“ machen
Derzeit suchen viele Unternehmer, die sich in den 1990er-Jahren selbstständig gemacht haben, einen Nachfolger. Manche Betriebe müssten erst „nachfolgefähig gemacht werden“, sagt Heckschen. Wenn sie als eingetragener Kaufmann (e.K.) firmieren, muss für den Einstieg die Rechtsform geändert werden. Mancher Inhaber könne sich auch nicht recht lösen und entscheide sich schließlich für einen stufenweisen Übergang. Der Notar sei im Gespräch auch eine Art Psychologe und müsse „20 Sprachen sprechen“. Bei einer Unternehmensveräußerung wird in der Kanzlei ein Team gebildet. Heckschen betont: „Es ist nicht so, dass der Notar nur vorliest. Wir beraten vorher.“ Außerdem ist ihm wichtig: „Wir kümmern uns nicht nur um die Rosinen.“ Die Beurkundung einer Kopie gehöre weiterhin zum Alltagsgeschäft, das weiß auch Salomon aus seiner Riesaer Erfahrung.
Pascal Salomon ist in Paris geboren und in Solingen bei Köln aufgewachsen. Seine Frau stammt aus Dresden, die beiden lernten sich bei der Arbeit in einer Münchner Rechtsanwaltskanzlei kennen. Sie entschieden sich für Sachsen. Sie haben zwei Kinder, ebenso wie der Vorgänger van de Loo. Heckschen freut sich auf die Zusammenarbeit: Der Vorteil einer Sozietät sei der fachliche Austausch. Nicht jeder angesprochene Kollege hatte dieses Ziel – Heckschen erfuhr auch von Notaren in kleineren Städten, dass sie sich dort „als Herrscher aller Reußen“ wohlfühlten und gar nicht in die Landeshauptstadt wechseln wollten.
Die Themen in der Kanzlei reichen von Testament bis Tiefgarage: Häufig mussten sich die Mitarbeiter vor dem Bau von unterirdischen Stellplätzen in Dresden um „Dienstbarkeiten“ kümmern, etwa um das Recht zum Überfahren der Nachbarflächen. Manche Immobilien sind im Laufe der Jahre schon dreimal in der Kanzlei an der Hohen Straße bearbeitet worden. Die Notare und ihre Angestellten arbeiten in einer denkmalgeschützten Villa, die sie von Herbst 1991 bis Herbst 1992 sanieren ließen.
Die Vorgeschichte haben van de Loo und Heckschen vor Jahren in einem Aufsatz niedergeschrieben. Für sie war es ein Abenteuer, 1990 von West- nach Ostdeutschland zu ziehen und „Mitstreiter einer sicher so nie wiederkehrenden Aufbauarbeit“ sein zu können. Beide hatten das Glück, dass ihre Ehefrauen mitkamen, jeweils mit dem ersten Kind, das zweite war unterwegs. Andere Interessenten gaben auf. Büroräume mit Telefon waren kaum zu bekommen, Bewerbungen bei Behörden gingen verloren, Büromaterial musste aus ganz Deutschland zusammengesucht werden.
Weite Wege nach Dresden
Inzwischen beschäftigen ganz andere Sorgen die Notare: Das vorige Jahr war „ein schwaches Immobilienjahr“, sagt Heckschen, das habe auch er gespürt. Jetzt ziehe dieses Geschäft wieder etwas an. Zwei große Teams in der Kanzlei kümmern sich nur um Immobilien- und Bauträgergeschäfte. Manche Kunden kommen eigens aus anderen Bundesländern nach Dresden, auch wegen Erbrechts-Angelegenheiten – die wollten sie lieber nicht in der eigenen Stadt klären.
Van de Loo will sich künftig um die Weiterentwicklung der Informationstechnologie im Notariat kümmern, auch mit Künstlicher Intelligenz. „Wir werden uns an einem Unternehmen beteiligen, das Digitalisierung und KI betreibt“, kündigt er an. Noch immer seien Notariate schwer telefonisch zu erreichen, weil zu viele andere Anrufer Fragen zum Stand ihrer Angelegenheit hätten. So etwas müsse sich künftig elektronisch klären lassen. Salomon freut sich auf den „Wissenstransfer“ in der Sozietät. Er ist überzeugt, den schönsten Beruf gewählt zu haben. „Wir begleiten Menschen in wichtigen Phasen des Lebens“, weiß er: Kauf eines Hauses oder eines Landwirtschaftsbetriebs, Ehevertrag und Scheidungsvereinbarung, Vorsorgevollmacht und Testament.